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Jaroslaw Kaczynski, Chef der Regierungspartei PiS (Mitte), mit Veteranen am 83. Jahrestag des Kriegsbeginns vor dem Ehrenmal für polnische Soldaten in Warschau.

© Michal Dyjuk/AP/dpa

Reparationsforderungen aus Warschau: Wir sollten Polen als Partner auf Augenhöhe behandeln

Muss Deutschland Polen Reparationen zahlen? Es gibt bessere Lehren aus der Geschichte. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Die Nachricht wird vielen Deutschen die Sprache verschlagen: 77 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs fordert Polen 1,3 Billionen Euro Reparationen. Das Ansinnen hat eine mehrjährige Vorgeschichte.

Wie passt das zur Realität in Europa – 33 Jahre nach dem Mauerfall, 18 Jahre nach Polens EU-Beitritt? Deutsche und Polen sind doch Nachbarn, Nato-Verbündete, Wirtschaftspartner zum beiderseitigen Vorteil. Und jetzt soll Deutschland zahlen, wo doch so viele andere Ausgaben anstehen in Folge des Kriegs in der Ukraine?

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Diese Fragen haben moralische, juristische und politische Seiten. Je nachdem, in welchem Kontext man Antworten sucht, fallen sie unterschiedlich aus.

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Moral: Jaroslaw Kaczynski, Chef der Regierungspartei PiS, hat bewusst den 83. Jahrestag des Kriegsbeginns am 1. September gewählt, um ein neues Gutachten öffentlich vorzustellen. Die deutsche Schuld vergeht nicht. Sie hat kein Ablaufdatum, das sich nach Jahren bemisst.

Historische Verantwortung, „ohne Aber“

„Deutschland bekennt sich zu seiner historischen Verantwortung – ohne Aber“, hat der deutsche Botschafter Thomas Bagger den Polen am Jahrestag versichert. Dieses „ohne Aber“ heben polnische Medien hervor.

Blick auf das zerstörte Warschau Ende 1944.

© EPU CAF/dpa

Zur Moral zählt auch: In Berlin versammelten sich Polen und Deutsche, darunter Kulturstaatsministerin Claudia Roth, am 1. September zum Gedenken an einem symbolischen Ort: dem Platz der Republik vor dem Reichstag.

Dort, wo einst die Krolloper stand, ist einer der beiden favorisierten Standorte für das vom Bundestag beschlossene Polen-Mahnmal. Im Herzen Berlins soll es an die deutschen Verbrechen erinnern.

Juristisch bietet sich ein anderes Bild. Reparationsfragen sind im Zwei-plus-vier-Vertrag abschließend geklärt, sagt die Bundesregierung.

Polen findet international keine Unterstützung für seine Forderung. Die USA und Nachbarländer, die selbst Opfer der Nazis waren, haben Warschau abgeraten.

Nicht der Präsident, nicht der Premier – der Parteichef fordert

Im Kern ist Kaczynskis Vorstoß politisch motiviert. Es gehört zum Wahlkampf der PiS, Polen als Opfer böser Mächte darzustellen und die PiS als einzige Kraft, die die Nation mutig verteidigt. Und: Geht es heldenhafter, als sich mit den angeblich übermächtigen Deutschen anzulegen?

Wichtig ist zugleich, wer die Reparationen fordert. Nicht Staatspräsident Andrzej Duda, nicht Premierminister Mateusz Morawiecki, sondern der PiS-Parteichef.

Und auch wenn die Summe angeblich auf wissenschaftlichen Forschungen beruht: Sie ist ebenfalls politisch. 1,3 Billionen Euro klingen nach viel. Ist es aber nicht in Relation zu den sechs Millionen polnischen Opfern und den Zerstörungen.

Es ist ein Drittel der deutschen Wirtschaftsleistung eines Jahres und ein Sechstel des Sparvermögens der Privathaushalte. Das ließe sich über mehrere Jahre verteilt finanzieren, wenn man wollte oder müsste.

Wie kann Deutschland Vertrauen aufbauen?

Aber gibt es nicht politisch überzeugendere Antworten, als zu zahlen? Nämlich Polen als Partner auf Augenhöhe behandeln: Beim Streit um das Fischsterben in der Oder, wo einige in Deutschland auf dürrer Faktenbasis zu vorschnellen Urteilen neigten und jetzt den vereinbarten Ausbau des Wasserwegs kippen möchten, den Polen braucht wie Deutschland den Rhein.

Oder bei der Militärkooperation. Polen ärgert sich so sehr über deutsches Zögern, dass es die neuen Panzer lieber mit Südkorea baut.

Alles tun, damit die Polen bei ihrer Sicherheit auf die Deutschen vertrauen: Das wäre eine starke Lehre aus der Geschichte.

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