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Wohnhäuser in Cherson.

© Imago/ZUMA Wire/Edgar Gutirrez

Ukraine-Invasion Tag 806: Wiederaufbau in Cherson – und Angst vor dem nächsten Angriff 

Offensive in der Charkiw-Grenzregion. Selenskyj entlässt Chef seiner Leibwache. Der Nachrichtenüberblick am Abend.

Vor rund 18 Monaten schaffte es die Ukraine, die russischen Truppen aus dem Gebiet rund um Cherson zu vertreiben. Damit endete eine brutale Besatzung der ukrainischen Stadt. Inzwischen bauen die Menschen langsam ihre Häuser wieder auf, reparieren Dächer, Fenster und Türen, bauen Getreide an.

Doch der nächste Angriff könnte bald bevorstehen. Die „New York Times“ (Quelle hier) hat mit Bewohnern Chersons gesprochen, die befürchten, dass eine erneute Besatzung durch die Russen noch einmal härter ausfallen könnte. Am Freitag war bekannt geworden, dass Russland bereits im Nordosten der Ukraine um die Großstadt Charkiw einen großangelegten Angriff gestartet hat.

„Es ist von einem Großangriff im Mai bis Juni die Rede. Wir lesen, dass sie Cherson zurückerobern werden“, sagt Oksana. Ihre beiden Söhne seien nach der Vertreibung der Russen in die ukrainische Armee eingetreten und hätten sich darüber beklagt, dass es ihnen an Waffen mangele, sagt sie.

Oleksandr Kuprych, 63 Jahre alt, habe eine Schrotflinte in seinem Gewächshaus. Er würde sie benutzen, wenn die Russen zurückkämen, sagt er. „Ich werde die Frauen und Kinder wegschicken. Und ich werde hier sein. Ich habe meinen Graben und mein Gewehr.“

Man ist widerstandsfähig in der Oblast Cherson, aber auch stark dezimiert. Einige Dörfer sollen so stark zerstört sein, dass nur wenige zurückkehren und ihre Häuser reparieren können. Auch die Zahl der Arbeitsplätze soll gering sein.

In einigen der größten Dörfer wie Myrolyubivka herrsche reges Treiben, berichtet die „New York Times“, doch die Dörfer blieben Ziel russischer Raketen. Man habe kürzlich einen großen unterirdischen Keller fertiggestellt, in dem sich Schulkinder zweimal pro Woche zum Unterricht und Spielen treffen könnten. Doch bevor die Arbeiten am Keller abgeschlossen waren, hätten russische Raketen das örtliche Krankenhaus getroffen und einen ganzen Flügel und mehrere Häuser zerstört.

Der russische Beschuss ist aber nicht das einzige Problem. Die Zerstörung eines Staudamms im vergangenen Jahr habe zu großflächigen Überschwemmungen in der Region Cherson und zur Entleerung des Stausees geführt. Das habe den Grundwasserspiegel gesenkt und in einigen Dörfern verunreinigte oder ausgetrocknete Brunnen hinterlassen. Es gebe außerdem Hunderte Hektar voller Minen und nicht explodierter Kampfmittel.

Unter denjenigen, die die Besatzung gemeinsam überlebt hätten, herrsche Solidarität, aber andere, die gingen und dann zurückkamen, hätten ihnen vorgeworfen, ihre Häuser ausgeraubt zu haben, sagt einer. „Der Krieg hat die Menschen verändert. Es hat die Leute gemeiner gemacht.“ 

Die wichtigsten Nachrichten des Tages im Überblick:

  • Die russische Armee hat nach ukrainischen Angaben einen großen Angriff in der Grenzregion bei der Stadt Charkiw begonnen. Am Morgen seien feindliche Bodentruppen im Schutz von Panzerfahrzeugen vorgerückt, um die Verteidigungslinien zu durchbrechen, teilte das ukrainische Verteidigungsministerium mit. Mehr dazu lesen Sie hier.
  • Nach angeblich vereitelten Anschlagsplänen gegen ihn hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj den Chef seiner Leibgarde, Serhij Rud, entlassen. Das berichteten mehrere ukrainische Medien übereinstimmend unter Berufung auf ein Präsidentendekret. Der Grund für die Entlassung wurde nicht genannt. Am Dienstag hatte allerdings der ukrainische Geheimdienst SBU die Aufdeckung von russischen Anschlagsplänen gegen Selenskyj bekanntgegeben. Dabei wurden auch zwei hochrangige Offiziere aus dem Staatsschutz festgenommen. Das ist die Abteilung, die Rud anführte. Mehr dazu hier.
  • In der russischen Oblast Kaluga ist einem Medienbericht zufolge nach einem ukrainischen Drohnenangriff eine Ölraffinerie in Brand geraten. Das meldet die staatliche russische Nachrichtenagentur RIA unter Berufung auf Insider von Rettungsdiensten. Bei dem Brand in der Raffinerie „Pervyi Zavod“ in Kaluga seien drei Container mit Dieselkraftstoff und einer mit Heizöl zerstört worden.
  • Das ukrainische Militär hat nach eigenen Angaben alle zehn Kampfdrohnen abgefangen und zerstört, die die russischen Streitkräfte in der Nacht zu Freitag gestartet hatten. Russland habe zudem zwei Flugabwehrlenkraketen abgefeuert, erklärt die ukrainische Luftwaffe auf dem Kurzmitteilungsdienst Telegram. Was mit den Raketen geschehen ist, bleibt zunächst offen.
  • Verteidigungsminister Boris Pistorius hat in Washington versichert, dass Deutschland zu einer sicherheitspolitischen Führungsrolle in Europa bereit ist und die militärischen Fähigkeiten dafür bereitstellen wird. „Lassen Sie uns - die USA und Deutschland zusammen - die Zukunft gestalten zusammen mit all denen, die für Freiheit, Frieden und die regelbasierte internationale Ordnung stehen“, sagte der SPD-Politiker in einer Grundsatzrede an der renommierten Johns-Hopkins-Universität. Mehr dazu hier.
  • Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat einmal mehr für den EU-Beitritt seines Landes geworben. Die EU beziehe ihre Kraft auch daraus, niemanden vor der Tür zu lassen, der an die europäischen Werte glaube. Kiew setze darauf, dass im Juni die eigentlichen Beitrittsverhandlungen beginnen werden.
  • Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) hat in der Ukraine die größte Werkstatt des von Russland angegriffenen Landes zur Herstellung von Prothesen für Kriegsverletzte eröffnet. Der Bau in der westukrainischen Stadt Lwiw wurde von Deutschland mit 1,8 Millionen Euro gefördert und gehört zu einem Zentrum für Orthopädie, in dem auch Fachkräfte ausgebildet werden und das an ein Rehabilitations-Zentrum angebunden ist. „Das ist ein Ort der Hoffnung, das ist ein Ort der Stärke“, sagte Schulze bei der Eröffnungszeremonie.

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