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Ferne Heimat Afghanistan: Wie afghanische Flüchtlinge in Pakistan leben

Seit 30 Jahren lebt der Afghane Waseem Khan als Flüchtling in Pakistan – nach Hause zurück will er, wenn dort Frieden herrscht.

Waseem Khan ist ein gemütlicher Mann. Der runde Bauch des Paschtunen hebt und senkt sich unter seinem braunen Gewand, der traditionellen Kombination aus knielangem Hemd und weiter Hose. Der 45-jährige Vater von fünf Kindern ist etwas außer Atem, er ist zu Fuß aufs Feld gekommen. Es ist nicht sein Feld, das gehört einem anderen Mann, einem aus dem Ort wie Mohammed Iliasran, der seinen alten roten Toyota gerade am Wegrand parkt. Er stammt von hier, aus Haripur in Pakistan. Waseem Khan lebt hier auch schon seit 30 Jahren, zu Hause aber ist er eigentlich jenseits der Grenze. In Afghanistan. Er floh, als die Sowjets einmarschierten. Waseem Khan ist einer von 1,7 Millionen Afghanen, die noch immer im Nachbarland Pakistan wohnen. Und vermutlich nie wieder in die Heimat gehen werden. Auch wenn viele eigentlich davon träumen.

Heute lebt Waseem Khan am legendären Karakoram Highway mit seinen malerischen Eukalyptusalleen. Das weite Land, das von Bergen behütet wird, ist fruchtbar, manche Bauern des Distrikts verkaufen ihre Ernte bis nach Abbottabat – der Ort, wo im Frühjahr Osama bin Laden getötet wurde, liegt rund 35 Kilometer nördlich. Gerüchten zufolge soll der Al-Qaida-Führer vor Jahren auch einige Zeit in Haripur gewohnt haben. Die afghanische Grenze ist rund 200 Kilometer entfernt. Wenn Waseem Khan eine Karte zur Hand nähme, könnte er mit dem Lineal eine Diagonale in seinen Heimatort ziehen: Phul-e-Khumry. Die Haupstadt der afghanischen Provinz Baghlan liegt im Kommandobereich der Bundeswehr, mitten im Unruhegürtel. „Wenn dort wieder Frieden herrscht, gehe ich zurück“, verkündet Waseem Khan inbrünstig.

Mohammed Iliasran ist ein Mann mit Schalk in den Augen und Vorsitzender der kommunalen Hilfsorganisation. Er ist 37, trägt einen weißen Salwar Kameez und hat viele Ideen, welche Projekte man noch mit den afghanischen Flüchtlingen auf die Beine stellen könnte. Im Moment verdienen er und seine Nachbarn offenbar gut daran, dass sie ihr Land an Flüchtlinge wie Waseem Khan verpachten. Nur 30 Prozent der Felder bearbeiten Pakistaner, 70 Prozent bewirtschaften Afghanen, sagt Iliasran. Mit Hilfe der deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) haben sie im Rahmen des UN-Programms mit dem klingenden Titel Raha, das für Gebiete mit afghanischen Flüchtlingen aufgelegt wurde, auf den Feldern von Haripur Kanäle für die Bewässerung gezogen. Am Fünf-Jahres-Programm Raha beteiligt sich auch die pakistanische Regierung. Man darf das wohl so deuten, dass Islamabad inzwischen davon ausgeht, dass die meisten verbliebenen Afghanen auf Dauer im Land bleiben werden. Für die Flüchtlinge wie die Gemeinden, in denen sie aufgenommen wurden, ist die Situation auch nach all den Jahren nicht einfach. Ethnische Nähe ist das eine, Nationalität aber doch nicht das Gleiche.

„Die Einkommen sind mit der Bewässerung um 300 Prozent gestiegen“, rechnet Mohammed Ilisran vor. Waseem Khan berichtet stolz, dass er mithilfe der Kanäle jetzt zweimal im Jahr ernten kann. Gerade haben sie Weizen eingebracht, nun sollen Erbsen folgen. Und natürlich haben alle die Pachtverträge entsprechend angepasst, sagen beide. Man teile die Gewinne fifty-fifty. Kanäle möchte Iliasran jetzt für mehr Felder. Auch für seine.

„Ich war Aktivist“, trompetet Iliasran, um gleich zu grinsen: „nein, nicht Terrorist“. Mit seinen Witzen buhlt er um die Aufmerksamkeit von GIZ-Mitarbeiter Filiberto Gabresi. Der Italiener ist für das Projekt zuständig. Iliasran will ihn überreden, Mittel locker zu machen, um den Feldweg zu asphaltieren, dann könnten sie die Ernte schneller auf den Markt bringen. Ein Pulk bildet sich am Rand des Feldes, sie diskutieren jetzt auch mit den Ältesten. Und natürlich ist längst auch ein Haufen Jungs angerannt gekommen. Iliasran hat noch weitere Pläne: „Ich will für die Afghanen ein Technikcenter einrichten.“ Für Mädchen und Jungen getrennt. „Damit sie eine Ausbildung haben, wenn sie wieder heimgehen.“

Waseem Khan ist hin und her gerissen, ob er heimgehen soll. Sein jüngerer Bruder ist schon zurück in Afghanistan, er betreibt ein kleines Lebensmittelgeschäft in Phul-e-Khumry. „Mein Bruder will, dass ich auch komme.“ Waseem Khan nestelt an seinem Gewand, zieht ein Tütchen mit einer grünlichen Ausweiskarte heraus. Phul-e-Khumry steht dort – wie ein Lockruf. Der Bruder habe schon Mauern um den Besitz gezogen, das Geschäft laufe gut. Waseem Khan war vergangenes Jahr auf Besuch dort. Wenn es zu Hause wieder friedlich sei, gehe er zurück, mit der Frau, den drei Söhnen und den zwei Töchtern. Streng schaut Waseem Khan jetzt drein. „Sie sind von mir abhängig, sie werden meine Entscheidung akzeptieren.“ Dann lacht er: „Ich werde sie natürlich fragen. Ich frage meine Kinder ja auch, was sie essen wollen.“ Doch es ist klar, dass er erwarten würde, dass sie mitkommen.

Trotz allem, sein Herz hängt an der heimischen Scholle. Hat er eben noch von seinem Gewinn geredet, rechnet er jetzt vor, wie hart das Leben in Pakistan ist: die Kosten für den Traktor, den Dünger, die Miete fürs Haus, die Preise auf dem Markt. „In Phul-e-Khumry habe ich eigenes Land.“ Jeder der drei Brüder habe vier Hektar von den Eltern geerbt, Wasser- und Honigmelonen wachsen dort. Waseem Khan hat sein Land verpachtet. „Wenn ich zurückkäme, wäre das kein Problem für die Pächter“, behauptet er. „Wir sind doch Stammesbrüder.“ Doch ihm ist es daheim zu unsicher. „Wenn die Ausländer wirklich gehen, wird es schwierig mit Frieden in Afghanistan“, sinniert Waseem Khan. „Ein paar sollten schon bleiben.“ Dann sagt er noch, dass er hofft, dass sich alle Afghanen wieder zusammensetzen, um die Lage in den Griff zu bekommen. Dafür, meint der Bauer, müssten die Taliban aber ihren Narzissmus ablegen. Es hört sich allerdings nicht so an, als glaube er wirklich daran.

Ob sich seine Kinder darüber Gedanken machen? Einer seiner Söhne tritt von einem Fuß auf den anderen. Sarwar ist 14, er ist in Haripur geboren. Er will nicht weg aus Pakistan: „Ich bin hier glücklich.“

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