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Europa regt die Briten auf.

© dpa

Brexit - vor dem Misstrauensvotum gegen May: "May muss die Quadratur des Kreises schaffen"

"Ihre Kritiker wollen, dass sie der EU ein besseres Abkommen abringt, die EU will nicht mehr verhandeln", sagt Almut Möller vom ECFR im Gespräch.

Was ist Ihre Prognose für das Misstrauensvotum heute Abend?

Es klingt vermutlich für viele absurd, aber es ist wahrscheinlich, dass Premierministerin May das Misstrauensvotum übersteht. In der britischen Politik geht es momentan drunter und drüber. Jeremy Corbyn, der Chef der oppositionellen Labour-Partei, der das Misstrauensvotum anberaumt hat, hat selbst in seiner Partei keine klare Linie dazu, wie es nach der krachend verlorenen Abstimmung der Regierung zum Austrittsabkommen gestern Abend jetzt weitergehen soll. In ihrer eigenen Partei hat May lautstarke Kritiker (118 Tories haben gestern gegen das von ihr mit der EU verhandelte Abkommen gestimmt), aber es gibt in der Partei bisher keine Alternative zu ihrer Person. Das ist vermutlich gerade der unattraktivste Job im Land.

Sollte Frau May so oder so zurücktreten?

In Deutschland wäre es kaum vorstellbar, dass eine Regierungschefin mit einem so niederschmetternden Ergebnis wie in der gestrigen Abstimmung nicht zurücktritt. Umgekehrt ist das jetzt eine dramatische Situation für Großbritannien - und zunehmend auch für die EU und ihre Mitglieder. Europa hat kein Interesse daran, dass es jetzt, wo ein Fahrplan her muss, um einen chaotischen Austritt Ende März zu verhindern, keine Regierung in Großbritannien gibt. May hat trotz der schwierigen Verhandlungen und ihrer ständigen Querelen in der eigenen Regierung eine gute Arbeitsbeziehung zu Brüssel aufgebaut. Man traut ihr Ernsthaftigkeit zu. Aber man wusste natürlich von Anfang an um ihre Probleme zuhause und es sah eigentlich zu keinem Zeitpunkt so aus, als dass sie das Austrittsabkommen wirklich durch das Parlament bekommt. Deshalb hat man sich in den europäischen Hauptstädten ja auch schon dafür gewappnet, dass es Ende März 2019 zu einem ungeordneten Austritt kommt. 

Wenn die Verantwortung für das Desaster bei Theresa May liegt, was waren ihre Fehler?

Sie hat dem Druck der "Brexiteers" zu früh nachgegeben und den Austrittsprozess zu früh begonnen - im März 2017, weniger als ein Jahr nach dem Referendum, als in London noch völlig unklar war, wie man die künftigen Beziehungen zur EU ausgestalten will. Da begann die Uhr zu ticken. Der Austrittsprozess als solcher ist mit vielen komplexen Fragen verbunden. Die EU war viel besser vorbereitet, und vor allem hatten die 27 Mitglieder von Anfang an eine klare gemeinsame Haltung. Erst im Juni 2018 hat die Regierung May einen Plan vorgelegt, den so genannten Chequers-Plan. Das aber war viel zu spät.

Wie wird es weitergehen?

Wie gesagt, vermutlich wird sie das Misstrauensvotum überstehen. May selbst hat angekündigt, dass sie für diesen Fall am kommenden Montag einen neuen Plan im Unterhaus vorstellen wird. Was da drinstehen wird, ist momentan völlig unklar. Die EU hat bereits unmissverständlich klar gemacht, dass sie das Austrittsabkommen nicht mehr aufschnüren wird. Das ist nachvollziehbar. Der Weg zum jetzigen Abkommen war ein hartes Stück Arbeit, es gab auch Entgegenkommen, und das Risiko ist zu groß, dass sich irgendwann auch die 27 verbliebenen Mitglieder nicht mehr einig sind. May muss die Quadratur des Kreises schaffen: Ihre Kritiker wollen, dass sie der EU ein besseres Abkommen abringt, die EU will nicht mehr verhandeln. Es ist aber denkbar, dass die EU die Frist für den Austritt verlängert, etwa im Falle von Neuwahlen oder einem erneuten Referendum. Beides ist denkbar. Bei all den offenen Fragen ist eines klar: Die tiefe Spaltung im Land wird sich nicht so einfach überwinden lassen.

- Almut Möller ist Politologin und Senior Fellow am European Council on Foreign Relations (ECFR) und Leiterin des Berliner Büros.

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