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Bundeskanzler Olaf Scholz.

© REUTERS/Brendan McDermid

Update

Angespannte Lage in Bergkarabach: Bundeskanzler Scholz fordert friedliche Lösung für Konfliktregion

Der Bundeskanzler telefonierte am Freitag mit dem armenischen Ministerpräsidenten. Dabei sprach er sich gegen militärische Gewalt aus und setzte sich für eine Verhandlungslösung ein.

| Update:

Nach der Eroberung des vornehmlich von Armeniern bewohnten Gebiets Bergkarabach im Südkaukasus durch Aserbaidschan bleibt die Lage in der Konfliktregion angespannt.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) telefonierte am Freitag mit dem armenischen Ministerpräsidenten Nikol Paschinjan. Es sei um die Lage vor Ort und die Frage der akuten humanitären Versorgung der Menschen gegangen, teilte Regierungssprecher Steffen Hebestreit in Berlin mit.

Der Kanzler habe sich gegen militärische Gewalt ausgesprochen und für eine Verhandlungslösung eingesetzt. Für eine nachhaltige Beilegung des Konflikts müssten die Rechte und die Sicherheit der Bevölkerung in Bergkarabach gewährleistet werden.

Die transparente humanitäre Versorgung und Sicherheit der Menschen in diesem Gebiet obliege nunmehr Aserbaidschan, hieß es. Der Kanzler habe auch die Achtung der territorialen Integrität und Souveränität Armeniens hervorgehoben.

Bergkarabach liegt auf aserbaidschanischem Staatsgebiet, wird aber mehrheitlich von Armeniern bewohnt und ist zwischen den beiden Ex-Sowjetrepubliken seit Langem umkämpft. Am vergangenen Dienstag hatte das autoritär geführte Aserbaidschan eine Militäroperation zur Eroberung der Region begonnen. Nur einen Tag später ergaben sich die unterlegenen Karabach-Armenier.

Hofreiter fordert EU-Sanktionen gegen Aserbaidschan

Der Grünen-Politiker Anton Hofreiter forderte angesichts des aserbaidschanischen Großangriffs sofortige EU-Sanktionen gegen Baku.

Wir sollten so schnell wie möglich aufhören, Gas aus Aserbaidschan zu kaufen.

Anton Hofreiter, Die Grünen

Die Europäer müssten sich „zu wirtschaftlichen Sanktionen durchringen, auch wenn es schwerfällt“, sagte der Vorsitzende des Europaausschusses im Bundestag den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Wir sollten so schnell wie möglich aufhören, Gas aus Aserbaidschan zu kaufen.“

USA wirft Aserbaidschan „unprovozierte“ Angriffe vor

Bereits am Freitag hatte Bundeskanzler Scholz „die Bedeutung der Achtung der territorialen Integrität und Souveränität Armeniens“ hervorgehoben. Ähnliche Besorgnis äußerten US-Vertreter bei einem Besuch in der armenischen Hauptstadt Eriwan. Die Kongressdelegation unter der Leitung des demokratischen Senators Gary Peters warf Aserbaidschan „unprovozierte“ Angriffe gegen sein Nachbarland vor.

Die Lage von Bergkarabach.

© AFP/Paz Pizzaro und Robin Bjalon

Die autoritäre Führung von Präsident Ilham Alijew verübe „eine humanitäre Katastrophe in Bergkarabach“, schrieb Peters am Freitag in den Onlinenetzwerken. Nach Angaben der US-Botschaft in Eriwan waren Gespräche der US-Abgeordneten mit der armenischen Regierung über „die Auswirkungen der jüngsten Militäraktionen Aserbaidschans auf die armenische Bevölkerung von Bergkarabach“ geplant.


Wie ist die aktuelle Lage in Bergkarabach?

Mittlerweile hat die aserbaidschanische Armee nach der erfolgreichen Militäroffensive die begonnene Entwaffnung pro-armenischer Kämpfer in Bergkarabach bestätigt. Es seien bereits „Waffen und Munition beschlagnahmt“ worden, sagte Armeesprecher Anar Ejwasow am Samstag vor Journalisten in der Stadt Schuscha südlich der Gebietshauptstadt Stepanakert.

Priorität: Entwaffnung und Minenräumung

Die aserbaidschanische Armee arbeite dabei „eng mit den russischen Friedenstruppen zusammen“. Reporter der Nachrichtenagentur AFP sahen, wie die aserbaidschanischen Truppen Stellungen vor Stepanakert kontrollierten. Die Soldaten zeigten ein Arsenal von Infanteriewaffen, darunter Scharfschützengewehre, Kalaschnikows, Panzerfäuste und Panzer, die sie nach eigenen Angaben von den pro-armenischen Kräften erbeutet hatten.

Ejwasow zufolge kann die vollständige Entwaffnung aufgrund mutmaßlicher Stellungen pro-armenischer Kämpfer in abgelegenen Bergregionen „einige Zeit in Anspruch nehmen“. Die „Priorität“ liegt demnach „auf der Minenräumung und der Entwaffnung“.

Zuvor hatte die russische Armee vermeldet, dass die pro-armenischen Kämpfer in der umstrittenen Kaukasus-Region mit der Abgabe ihrer Waffen begonnen hätten. Es seien zunächst sechs Panzer, mehr als 800 leichte Waffen sowie 5000 Schuss Munition abgegeben worden.

Die am Donnerstag begonnenen Gespräche zwischen den De-Facto-Behörden Bergkarabachs und Baku „unter russischer Schirmherrschaft“ sollen es laut pro-armenischen Behörden ermöglichen, „den Prozess des Truppenabzugs zu organisieren und die Rückkehr der durch die militärische Aggression vertriebenen Bürger in ihre Häuser sicherzustellen“.

Armenier bereiten sich auf Evakuierung vor

Viele Armenier beschuldigen ihre traditionelle Schutzmacht Russland, die auch eigene Soldaten vor Ort stationiert hat, sie im Stich gelassen zu haben. Während der kurzen Kämpfe wurden armenischen Angaben zufolge mehr als 200 Menschen getötet und mehr als 400 verletzt. Die Zehntausenden armenischen Zivilisten in der Region fürchten nun, vertrieben oder von den neuen aserbaidschanischen Machthabern unterdrückt zu werden.

Ein russischer Soldat bewacht ein Tor zu einem Lager in der Nähe von Stepanakert in Bergkarabach. Tausende Einwohner stürmten in solche Lager, um den Kämpfen zu entgehen.

© picture alliance/dpa/Russian Defense Ministry Press Service/AP

Armenien bereitet sich auf eine mögliche Evakuierung seiner Landsleute aus Bergkarabach vor, falls sich die Lage dort verschlechtern sollte. Nach Angaben von Ministerpräsident Paschinjan sind 40.000 Plätze vorbereitet.

Humanitäre Hilfe über Latschin-Korridor

Der außenpolitische Berater des aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Aliyev bemühte sich hingegen, Ängste der Karabach-Armenier zu zerstreuen. Er habe in Baku Vereinbarungen mit Vertretern des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz IKRK getroffen, schrieb Berater Hikmet Hajiyev im sozialen Netzwerk X, vormals Twitter.

Humanitäre Hilfe könne über den Latschin-Korridor und aus der aserbaidschanischen Stadt Agdam nach Karabach gebracht werden. Der Latschin-Korridor ist die Straßenverbindung zwischen Bergkarabach und dem armenischen Mutterland, die Aserbaidschan seit Monaten gesperrt hält.

Polizisten halten in Jerewan (Armenien) einen Demonstranten fest, der gegen Premierminister Paschinjan demonstriert.

© picture alliance/dpa/Photolure/AP


Bergkarabach: Die Hintergründe

Am Dienstag hatte Aserbaidschan eine großangelegte Militäroffensive in Bergkarabach gestartet. Bereits einen Tag später wurde eine Waffenstillstandsvereinbarung geschlossen.

Zuvor hatten die pro-armenischen Kräfte bekannt gegeben, mit Aserbaidschan über einen Rückzug ihrer Truppen aus Bergkarabach zu verhandeln. Diese Verhandlungen dauerten am Samstag an.

Bergkarabach gehört völkerrechtlich zu Aserbaidschan, in dem Gebiet leben aber überwiegend Armenier. Aserbaidschan und Armenien streiten seit dem Zerfall der Sowjetunion um die Enklave und hatten sich deshalb bereits zwei Kriege geliefert, zuletzt im Jahr 2020. (dpa, AFP)

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