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Alien-Hand-Syndrom

© Ian Dooley

Wenn Körperteile plötzlich nicht mehr gehorchen: Was steckt hinter dem Alien-Hand-Syndrom?

Ohne Hände hätte es Homo sapiens wohl nicht weit gebracht. Umso dramatischer ist es, wenn sie plötzlich ein Eigenleben entwickeln und zu „Geisterhänden“ werden.

Eine Kolumne von Sascha Karberg

Morgens seinen Kaffee zu trinken, scheint die einfachste Sache der Welt zu sein. Selbst im halbwachen Zustand steuert das Gehirn die Hand, führt die Tasse zum Mund, stellt sie wieder ab. Und immer weiß der Kaffeetrinker, dass es seine Hand ist und sie ihm „gehorcht“.

Das ist keineswegs selbstverständlich, wie der Fall einer 41-jährigen Patientin zeigt, deren linke, bevorzugte Hand plötzlich ein Eigenleben entwickelte. Sie hielt den Regenschirm nicht, sie machte keine Anstalten, die Tür zu öffnen, stattdessen bewegte sich die Hand – buchstäblich wie von „Geisterhand“ – selbstständig vor das Gesicht der Frau, als würde sie sie „anschauen“.

Mitunter kratzte und verletzte sie die Patientin sogar. Ihr eigenes Körperteil war der 41-Jährigen fremd, sie empfand es nicht mehr als „ihres“, bekam Angst davor und bezeichnete es sogar als „Monster“.

Auch andere Patienten mit „Alien Hand-Syndrom“, 1908 erstmals von dem deutschen Arzt Kurt Goldstein beschrieben, benennen ihre entfremdete Hand, etwa „Klein-Josef“, als hätte sie ein Eigenleben. Eine von der kontrollierten Hand angesteckte Zigarette wird dann von „ihm“ wieder aus dem Mund gezogen, weil „er wohl nicht will, dass ich eine rauche“. Oder während die „eigene“ Hand das Hemd zuknöpft, knöpft „sie“, die Geisterhand, sie wieder auf.

Ursache für das sehr seltene Phänomen sind Schäden am Verbindungsstrang zwischen den beiden Gehirnhälften, dem Corpus callosum, oder im Frontallappen. Auslöser können Schlaganfälle, Hirnblutungen, Tumore, erbliche Hirnerkrankungen oder, wie bei der 41-jährigen Patientin, auch Infektionen sein. Die Folge: Die Hirnhälften kommunizieren nicht mehr korrekt, um das Verhalten der Hände zu steuern. Wieso eine der Hände ein so merkwürdiges Eigenleben entwickelt, ist jedoch unklar.

Sicher ist aber, dass jede noch so banale Fähigkeit des menschlichen Körpers ein biologisches Wunder ist – auch wenn wir sie erst schätzen, wenn sie plötzlich ausfällt.

Was wir zum Leben mitbekommen und was wir weitergeben – jedes Wochenende Geschichten rund um Gene und mehr in der „Erbonkel“-Kolumne.

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