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TURNERS Thesen: Nicht-Abiturienten brauchen Chancen

Vor der Gründung der Fachhochschulen boten die Staatlichen Ingenieurschulen, vor allem in technischen Disziplinen, die typischen Aufstiegschancen für junge Menschen, die nicht den Weg bis zum Abitur gegangen waren. Aus den Absolventen rekrutierte sich das mittlere Management in Unternehmen.

Vor der Gründung der Fachhochschulen boten die Staatlichen Ingenieurschulen, vor allem in technischen Disziplinen, die typischen Aufstiegschancen für junge Menschen, die nicht den Weg bis zum Abitur gegangen waren. Aus den Absolventen rekrutierte sich das mittlere Management in Unternehmen. Manche Karriere bis in die höchsten Positionen hatte diesen Hintergrund. Mit der Einrichtung der Fachhochschulen wurde für die Zulassung in der Regel die fachgebundene Hochschulreife, zunehmend das Abitur, gefordert.

Eine Ersatzinstitution für diejenigen, die solche Voraussetzungen nicht erbringen, wurde nicht geschaffen. Nun kann man einwenden, dass durch die Expansion des Bildungssektors eine Verschiebung eingetreten ist: Der Anteil der Gleichaltrigen, die das Gymnasium mit Erfolg besuchen, stieg von fünf Prozent im Jahr 1960 auf inzwischen 45 Prozent. Ein erheblicher Anteil, der zu früheren Zeiten die mittlere Reife, den Abschluss der Realschule, erworben hätte, gelangt inzwischen zum Abitur. Damit verringert sich zwar das Problem, dass für eine bestimmte Gruppe Ausbildungschancen weggefallen sind. Es bleibt aber bestehen. Schließlich verlässt die Mehrheit die Schule ohne Abitur. Auch die Öffnung der Hochschulen für Bewerber ohne Reifeprüfung, die eine bestimmte Anzahl von Jahren berufstätig gewesen sein müssen, bedeutet keine befriedigende Lösung. Es bleibt nach der Umwandlung der Ingenieurschulen in Fachhochschulen ein Vakuum.

Hinzu kommt, dass die Fachhochschulen sich zunehmend von ihrem ursprünglichen Auftrag entfernen. Sie sollten eine praxisbezogene Ausbildung vermitteln. Stattdessen versuchen sie, ihr Profil über Forschungsarbeiten zu bestimmen und durch das Angebot von Masterstudiengängen den Unterschied zu den Universitäten zu verwischen.

Der Grund liegt in der Zusammensetzung der Lehrkörper. Sie kommen nicht, wie ursprünglich vorausgesetzt, aus der Praxis, sondern in immer größerer Zahl von den Universitäten, aus dem Mittelbau, aber auch als Habilitierte. Sie bringen die von ihnen praktizierte Arbeitsweise mit und tragen so zu der Einebnung der Unterschiede bei. Das ist zwar nicht im Sinne der Gründung der Fachhochschulen, aber kaum aufzuhalten. Den viel beschworenen Bildungschancen für einen Teil der jungen Menschen, deren Neigung und Befähigung vor allem im Praktischen liegt, entspricht das nicht. Sie fallen „durch den Rost“.

Wer mit dem Autor diskutieren möchte, kann ihm eine E-Mail schreiben: g.turner@tagesspiegel.de

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