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POSITION: Mathematik = Faszination

Das Wissenschaftsjahr hat mit viel Schwung begonnen

Das Jahr der Mathematik ist erst vier Monate alt und doch schon erfolgreicher als wir vier Organisatoren – das Bundesbildungsministerium, Wissenschaft im Dialog, die Deutsche Mathematiker-Vereinigung und die Deutsche Telekom Stiftung – es uns hätten träumen lassen. Kaum ein Tag vergeht, ohne dass irgendwo in Deutschland Veranstaltungen und Ausstellungen zum Mathejahr stattfinden, die Medien über das Jahr berichten und die Zahl der Mathemacher und Mathebotschafter wächst. Damit kommen wir unserem Ziel, die Mathematik stärker ins öffentliche Bewusstsein zu rücken und vor allem die Schulen zu erreichen, jeden Tag ein Stück näher.

An Mathematik kommt keiner vorbei – weder in noch nach diesem Jahr. Denn ohne sie läuft nichts – nicht in den anderen Wissenschaften, nicht in der Wirtschaft, nicht im Alltag, schlicht nirgends. Das zu vermitteln, ist das Anliegen des Jahres der Mathematik und der Grund, warum die Deutsche Telekom Stiftung sich so stark engagiert. Wir investieren in das Wissenschaftsjahr knapp zwei Millionen Euro in Projekte und Aktivitäten und fokussieren uns dabei auf die mathematische Bildung, die seit Gründung der Stiftung vor viereinhalb Jahren zu unseren zentralen Handlungsfeldern gehört.

Warum setzen wir als Stiftung eines Technologiekonzerns auf Mathematik? Weil feststeht – und das belegen Studien immer wieder –, dass der Mathematikunterricht und die Aus- und Fortbildung der Mathematiklehrer zu den großen Schwachstellen unseres Bildungssystems gehören. Mathe ist für viel zu viele Schüler ein Problemfach, scheint vielen zu wenig alltagstauglich. Ein unhaltbarer Zustand für eine große Technologienation wie Deutschland.

Hinzu kommt: Im Gegensatz zu den Naturwissenschaften hat die Mathematik keine Lobby. Dabei hat sie nach den schrecklichen Verlusten durch die Ermordung und Vertreibung jüdischer Mathematiker während der Nazizeit aufgeholt. Heute haben deutsche Mathematikerinnen und Mathematiker wieder Weltruf.

Und Deutschland braucht mathematische Talente, denn was hat das Gütesiegel „Made in Germany“ so erfolgreich gemacht? Das waren Maschinen- und Anlagenbauer, Physiker, Chemiker und Techniker, um nur einige zu nennen. Berufsbilder, für die gute Mathematikkenntnisse das A und O sind. Solche Fachkräfte brauchen wir, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Natürlich gehört Deutschland in vielen Bereichen immer noch zur internationalen Spitze. Ich denke an den Hochtechnologiesektor mit der Automobilbranche, der Chemie und eben dem Maschinenbau. Traurige Wahrheit ist allerdings auch, dass das Land der Dichter und Denker, das immer ein großes Land der Ingenieure war, in vielen Bereichen von den Errungenschaften der Vergangenheit zehrt.

Stichwort Innovationsfähigkeit: Wie der von unserer Stiftung und dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) jährlich veröffentlichte Innovationsindikator belegt, hinken wir hier international hinterher. Im Vergleich mit anderen führenden Industriestaaten sind wir nur Mittelmaß, landeten im vergangenen Jahr auf Rang 8 bei insgesamt 18 gerankten Ländern, in Sachen Bildung sogar nur auf Platz 13. Das darf ein rohstoffarmes Land wie unseres keinesfalls zufriedenstellen.

Es liegt doch auf der Hand: Wer kaum natürliche Rohstoffe besitzt, für den sind kluge Köpfe die wichtigste Ressource. Deutschland braucht also erstklassige Ingenieure, Wissenschaftler und Facharbeiter, um Innovationen hervorzubringen und eine führende Technologienation zu bleiben.

Der zunehmende Ingenieur- und Fachkräftemangel ist – vor allem mit Blick auf die demografische Entwicklung – ein Risiko, das wir keinesfalls unterschätzen dürfen. Der gesamtwirtschaftliche Schaden, der dadurch jährlich entsteht, geht in die Milliarden. Da können wir nicht tatenlos zusehen.

Glücklicherweise haben die Verantwortlichen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft den Handlungsbedarf erkannt und Reformen und Initiativen angestoßen. Die Entscheidung, das Wissenschaftsjahr 2008 zum Jahr der Mathematik zu machen, gehört sicherlich dazu. Wir brauchen dringend Fachkräftenachwuchs und damit mehr Kinder und Jugendliche, die sich für Mathematik begeistern. Das funktioniert aber nur dann, wenn wir ihre Köpfe und ihre Herzen erreichen. Mathe gleich Faszination, ungleich Frustration – das sollte unter dem Strich herauskommen. Um das zu erreichen, setzt sich die Stiftung zum Beispiel dafür ein, dass jede Schule einen Mathemacher benennt, der sich um Aktivitäten im Jahr der Mathematik kümmert.

Ich bin fest davon überzeugt: Kinder, die in Kindergarten oder Schule erfahren, dass Mathe Spaß macht, interessant ist und Einfluss auf fast alle Lebensbereiche hat, entwickeln eine positive Einstellung zum Fach. Das kann jeder bei sich selbst feststellen: Wer in der Schule keinen Zugang zur Mathematik fand, bleibt zeitlebens eher ein „Mathemuffel“. Wer aber in jungen Jahren für mathematische Fragestellungen und Phänomene interessiert wird, dem bleibt diese Faszination erhalten und der ergreift vielleicht eher einen technischen Beruf.

Weil die Einstellung zur Mathematik so früh geprägt wird, kommt natürlich den Eltern, aber vor allem den Lehrerinnen und Lehrern eine ganz verantwortungsvolle Aufgabe zu. Allerdings sind sie dafür nicht richtig ausgebildet. Das Lehramtsstudium ist vielfach noch zu sehr an wissenschaftlichen Inhalten und weniger am Lehrerberuf ausgerichtet. Die Fachdidaktik kommt zu kurz. Das wirkt sich negativ auf die Motivation der Studierenden, ihre Einstellung zur Mathematik und letztlich natürlich auch auf den späteren Unterricht aus. Gerade hat Bundesbildungsministerin Schavan angekündigt, sich verstärkt für moderneren Mathematikunterricht einzusetzen. Gut so!

Wir als Stiftung unterstützen bereits verschiedene Modellvorhaben zur Lehreraus- und -fortbildung, die der Unterrichtsverbesserung dienen und erfolgreiche Ansätze für eine Neuorientierung bieten. In den Projekten tun wir übrigens genau das, was Frau Schavan jetzt fordert: Wir bringen Wissenschaftler, Pädagogen und Didaktiker zusammen. Gemeinsam arbeiten sie an Konzepten zur Schul- und zur Unterrichtsentwicklung. Diese Kooperationen haben sich als sehr effektiv erwiesen und ich appelliere daher an alle Beteiligten, Frau Schavan tatkräftig zu unterstützen.

Dem enormen Einsatz vieler Mathematiker, Mathelehrer und anderen an Mathematik Interessierten ist es zu verdanken, dass das Jahr der Mathematik mit sehr viel Schwung begonnen hat. Dieses Momentum gilt es zu nutzen, um der Mathematik auch über das Jahr 2008 hinaus zu mehr Beachtung und einem besseren Image zu verhelfen. Der Standort Deutschland braucht dieses Engagement für die Mathematik. Wir können es uns nicht leisten, das Jahr der Mathematik verdunsten zu lassen.

Der Autor ist Vorsitzender der Deutsche-Telekom-Stiftung und ehemaliger deutscher Außenminister.

Klaus Kinkel

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