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Es werde Lichtzeichenanlage. Der Verkehrsturm, ohne Autos, dafür mit Hotel, als Postkartenmotiv.

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Tagesrückspiegel – Heute vor 98 Jahren: Der Verkehrsturm am Potsdamer Platz

Die erste Ampel Deutschlands war so viel mehr als nur eine profane Lichtzeichenanlage. In Richtung Schloss Bellevue etwa gab sie ein deutliches Signal.

Eine Kolumne von Richard Friebe

Quizfrage: Wie viele Beine hat der Ampelmann? Es gibt nicht nur die eine, offensichtliche Antwort. Die andere lautet: Fünf. Wer sich überzeugen will, schaut einmal in Berlin am Potsdamer Platz vorbei. Dort steht er, nicht im Original leider, sondern als Replika, und auch völlig seiner eigentlichen Pflichten beim Regeln des Großstadtverkehrs entbunden.

Dauerrot in Richtung Schloss Bellevue

Das Original an jenem – und doch einem völlig anderen – Potsdamer Platz, wurde heute vor 98 Jahren, am 15. Dezember 1924, in Betrieb genommen. Diesen „Verkehrsturm“ – um Verwechslungen zu vermeiden phonetisch zu trennen nach dem „s“ – hatte der Berliner Architekt Jean Krämer entworfen. Er war Deutschlands erste sicher dokumentierte Ampelanlage für den Straßenverkehr.

Fünfbeinig war er, weil er auch fünfseitig war. Und fünfseitig war er, weil er Ampelsignale in fünf Richtungen abgeben musste. Allerdings war das nicht recht praktikabel, so dass in Richtung Bellevuestraße bald Dauer-Rot gezeigt wurde. Die Ampeln selbst hatten schon damals je drei Lichter, die allerdings waagerecht angeordnet waren. Als heute völlig undenkbares Extra für die Verkehrsteilnehmenden gab es in jede Richtung auch noch eine große Uhr.

Ampelfrauen, Ampelpärchen.

© Daniel Bockwoldt/dpa

Der Turm wurde schnell zu einem der meistfotografierten Symbole des modernen Berlins. Und wer die Originalverfilmung von Erich Kästners „Emil und die Detektive“ gesehen hat, erinnert sich an den unfreiwillig mit Drogen zugeknallten Emil, wie er per Regenschirm um ihn herumfliegt. Schon 1937 aber wurde der fünfbeinige Ampelmann wieder abgebaut und durch eine fünfseitige Hängeampel ersetzt.

Es ist Zufall, dass das erste zweibeinige Ampelmännchen im selben Jahr an der ersten Berliner Fußgängerampel leuchtete. Was folgte, war eine ganz eigene Geschichte, vom Ost-Ampelmännchen, das 1969 in der Friedrichstraße debütierte, über vieldiskutierte Ampelfrauen und Ampelpärchen sowie Mainzelmännchen-Ampeln in Mainz und Steckenpferdreiter-Ampeln in Osnabrück bis zum Otto-Waalkes-Ampelmann im Emden. Zumindest sie, fast so alt wie der Fünfbeiner mit den Uhren und Lichtern, sind nach wie vor aktiv.

Auch eine Sache der Perspektive: Der Verkehrsturm-Nachbau, fast so hoch wie der Bahn-Tower.

© imago/Hans Scherhaufer

Auch am Potsdamer Platz regeln sie – still beobachtet von der arbeitslosen Replika – als Teil profaner, rein funktionaler, schmuckloser Lichtzeichenanlagen den Verkehr. Man kann das als sinnbildlich sehen für diesen Ort in den 2020ern – so wie es der Verkehrsturm für seinen ortsgleichen, und doch so ungleichen, Vorgänger in den Zwanzigern des letzten Jahrhunderts war.

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