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Reif für den Winter ist das Wetter schon Anfang Dezember.

© Regina Klinghöller

Tagesrückspiegel – Alternative Daten und Fakten: Als der Winter vorverlegt wurde

Meteorologen sind praktisch veranlagt. Das kann so weit gehen, dass sie jahrhundertealte Konventionen kippen – wie wohl heute vor 64 Jahren geschehen.

Eine Kolumne von Richard Friebe

Alle Jahre wieder sagt es uns der diensthabende Meteorologe im Fernsehen oder die gut eingepackte Freiland-Meteorologin unserer Lieblings-Wetterwebsite: Am 1. Dezember beginnt der Winter. Der meteorologische, der eigentliche, der Wetter- und Klima-, der Temperaturwinter. Nicht der, wie er seit Jahrhunderten im gregorianischen Kalender steht.

Dass ausgerechnet um Null Uhr des ersten Tages von Dezember, März, Juni und September eine gleichsam wissenschaftsbegründete Jahreszeit anfangen soll, ist aber eigentlich noch größerer Unsinn, als den Beginn auf die Sekunde zu legen, da die Sonne genau mittags irgendwo senkrecht über einem Wendekreis oder dem Äquator steht.

Das geben die Meteorologierenden auch selbst zu. Der erste des Monats kommt, was das langjährige Wetter angeht, so einigermaßen hin. Er eignet sich aber vor allem deshalb, weil man dann viel einfacher Statistik machen kann, in vollen Monaten und nicht zwischen irgendwelchen ungeraden und stetig sich ändernden Tages- und Sekundenwerten.

Wetterdienst 1780

Den ersten offiziellen, supranational festgelegten meteorologischen Winteranfang an einem 1. Dezember soll es, nach Auskunft des Deutschen Wetterdienstes - 1958 gegeben haben, also heute vor 64 Jahren. Ausgerufen hat ihn demnach die Welt-Meteorologie-Organisation (WMO). Fragt man bei der WMO selbst nach, heißt es, man wisse gar nicht so recht, ob das wirklich so war und wolle nochmal „herumfragen“. Antwort bis kurz vor meteorologischem Winteranfang 2022: Fehlanzeige.

Es ist weltweit Usus, die zwölf Monate in Jahreszeiten einzuteilen.

Victor Raulin, französischer Meteorologe, 1904

Unter Wetterforschern selbst waren die meteorologischen Jahreszeiten ohnehin schon viel früher Thema. Die Mannheimer Meteorologische Gesellschaft, erste solche Institution zur Wetterbeobachtung weltweit und bald bekannt für ihre sehr praktischen, standardisierenden und vereinfachenden Messmethoden, soll schon in ihrem Gründungsjahr 1780 mit ihnen gearbeitet haben.

Im „Monthly Weather Review“ vom März 1904 wird der damals „mit Sicherheit älteste europäische Meteorologe“, Victor Raulin, bereits mit den Worten zitiert, es sei „weltweit Usus, die zwölf Monate in Jahreszeiten einzuteilen“. Der Autor jener wissenschaftlichen Wetterzeitschrift erwidert allerdings, ob man sich an die kalendarischen oder solche Drei-Monats-Jahreszeiten halten solle, werde nach wie vor „offen diskutiert“.

Raulin hat sich an dieser Diskussion nicht weiter beteiligt. Er war wirklich schon sehr alt - und starb kurz darauf.

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