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Wirtschaft: Zeit für Junkies

Der niedrige Preis verhindert die notwendige Abkehr von der Droge Öl

Es ist alles nicht mehr so schlimm: Ein Autofahrer zahlt in Deutschland derzeit fast 60 Cent weniger für einen Liter Sprit als im Sommer. Das entspricht rund 25 Euro pro Tankfüllung – flüssiges Geld, das nun fürs Kino und den Restaurantbesuch übrig bleibt. Diese Rechnung, so einfach und richtig sie ist, ist aber gefährlich – zumindest wenn man die falschen Schlüsse aus ihr zieht.

Was bedeutet es für eine Industriegesellschaft, wenn der Preis für ihren wichtigsten Rohstoff Öl, der Autos- und Heiztanks füllt, der aber auch in jeder Zahnbürste und jedem Jogurtbecher steckt, binnen eines halben Jahres auf ein Viertel zusammenschmilzt? Der Preisverfall ist kein glücklicher Zufall, sondern nur ein verlässliches Indiz dafür, dass die Krise die ganze Welt wirklich sehr hart trifft. Händler, Spekulanten, nehmen an, dass wegen der global abflauenden Konjunktur die Ölnachfrage sinkt, also mehr Öl auf dem Markt ist, als die Industrie braucht. Darum zahlen sie an den Rohstoffbörsen derzeit nur rund 38 Dollar für ein Barrel (159 Liter), statt 147 Dollar wie im Juli.

Das also ist der Grund unserer Freude an der Zapfsäule. Die Folgen aber sind weit weniger offensichtlich: Ölkonzerne, die im Sommer noch Milliardengewinne eingestrichen haben, werden jetzt praktisch nichts mehr in ihre veralteten Förderanlagen und Pipelines investieren, um noch mehr „wertloses“ Öl aus dem Boden zu holen. Russlands Produzenten zum Beispiel fackeln Erdgas, das bei der Erdölförderung als Abfallprodukt entsteht, einfach am Bohrturm ab – und zwar in einer Größenordnung, die der Menge Gas entspricht, die Russland an Deutschland liefert: ökologischer Irrsinn, aber ökonomische Realität. Dieser Verzicht auf Investitionen in die Förderanlagen wird auch dazu führen, dass Staaten und Konzerne tatenlos zusehen müssen, wenn der Ölpreis durch die Decke geht, sobald die Konjunktur wieder anspringt. Weil sie die Fördermenge nicht mal eben wieder erhöhen können.

Jetzt wäre der Moment, von der Droge Öl loszukommen. Das hieße: kleinere Autos kaufen, Häuser dämmen, kohlefreien Stromtarif buchen. Doch die Abkehr vom fossilen Rohstoff fällt so schwer, wenn es keinen Leidensdruck gibt. Es ist schlimmer als mit den Zigaretten: Hätte eine Schachtel vor einem halben Jahre knapp 16 statt vier Euro gekostet (das entspräche der Relation beim Ölpreis) hätten fast alle Raucher ihr Laster aufgegeben. Öl muss trotzdem gekauft werden. Zu jedem Preis.

Die Kunst ist es nun, die Abhängigkeit schrittweise zu besiegen, obwohl die Versuchung, alle Risiken und Nebenwirkungen zu verdrängen, bei gesunkenen Energiepreisen groß ist. Die Industrie wird uns jedenfalls weiter verführen: Autokonzerne werden uns hubraumstarke Spritschlucker andrehen, mit Rabatten versüßt. Und Hausbesitzer werden die nötige Wärmedämmung wieder verschieben, weil die Öl- oder Gasrechnung für 2008 doch nicht so schlimm ausfällt. Wenn die Ölpreise dann wieder anziehen, und das wird passieren, wird das unsere Portemonnaies, die Wirtschaft und das Klima härter treffen als je zuvor.

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