zum Hauptinhalt
Zu wenig. 39 Prozent der Befragten gaben in einer IG-Metall-Umfrage an, dass sie aus finanzieller Not einen zweiten Job machen.

© dpa

Arbeit nach der Arbeit: Wenn ein Job nicht reicht

Fast 2,7 Millionen Menschen in Deutschland stocken ihr Gehalt mit einer zweiten Tätigkeit auf - doppelt so viele wie vor zehn Jahren. In Berlin hat sich die Anzahl der Menschen mit Zweitjob sogar verdreifacht.

Berlin - Die Arbeitslosigkeit ist so gering wie nie, die sozialversicherungspflichtigen Jobs sind auf Rekordniveau. Zugleich aber verdienen sich immer mehr Menschen neben ihrer regulären Tätigkeit mit einem Minijob etwas hinzu, wie aktuelle Zahlen der Bundesagentur für Arbeit zeigen. Seit der Liberalisierung des Arbeitsmarktes 2003 hat sich die Zahl der Menschen mit Zweitjob auf 2,66 Millionen nahezu verdoppelt. Das entspricht neun Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. In Berlin hat sich die Zahl der Menschen mit Nebentätigkeit sogar fast verdreifacht. Waren es 2003 noch knapp 28 000 Zweitjobber, lag die Zahl Ende 2012 bei mehr als 75 200. Die Bundesagentur spricht von einem kontinuierlichen, langsamen Anstieg in den vergangenen Jahren.

Minijobs, auch als geringfügige Beschäftigung bezeichnet, erlauben in der Regel einen steuer- und sozialversicherungsfreien Verdienst von bis zu 450 Euro im Monat für Arbeitnehmer, der Arbeitgeber muss einen pauschalen Anteil von 30 Prozent an die Sozialversicherung abführen. Seit 2013 gilt auch eine Rentenversicherungspflicht für den Arbeitnehmer, von der er sich aber befreien lassen kann.

Die Statistik der Bundesagentur für Arbeit verrät nichts über die Haupttätigkeiten der Beschäftigten, die einem Nebenjob nachgehen. Die meisten Zweitjobs sind den Zahlen zufolge im Einzelhandel, im Gastgewerbe und in „sonstigen Dienstleistungen“ wie Wach- und Sicherheitsdiensten zu finden. Zudem sind mehr als die Hälfte der Nebenjobber Frauen.

Über die Gründe für den Anstieg lässt sich wegen fehlender Daten nur spekulieren. Die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Linken, Sabine Zimmermann, erklärte am Montag, der überwiegende Teil der Zweitjobber mache dies „aus purer finanzieller Not und nicht freiwillig“. Die drastische Zunahme sei ein „absolutes Alarmzeichen“, dass es um die Qualität von Beschäftigung immer schlechter bestellt sei. Zimmermann forderte unter anderem einen Mindestlohn von zehn Euro und die Abschaffung von Leiharbeit.

Eine Sprecherin des Bundesarbeitsministeriums betonte gegenüber der Chemnitzer „Freien Presse“ dagegen, dass neben finanziellen Engpässen auch andere Gründe vorstellbar seien, etwa eine „gestiegene Konsumlust“ der Menschen. Zudem seien für bestimmte Berufe wie etwa Wissenschaftler mehrere Jobs normal.

Die Gewerkschaften kritisierten diese Position scharf: „Wer, wie die Bundesregierung, die steigende Zahl der Zusatzjobs mit ‚steigender Konsumlust’ begründet, hat offensichtlich jeglichen Bezug zur Wirklichkeit verloren“, sagte DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach. Die hohe Zahl der Zweitjobber sei eine dramatische Folge und gleichzeitig „Treibsatz des riesigen Niedriglohnsektors in Deutschland“. Auch die IG Metall kritisierte die Äußerungen. Einer repräsentativen Umfrage im Auftrag der Gewerkschaft zufolge nennen Beschäftigte über 35 Jahre als häufigsten Grund (39 Prozent) für ihre Nebentätigkeit, dass sie nur so finanziell über die Runden kommen. Dieser Wert sei innerhalb eines Jahres um 16 Punkte angestiegen. 34 Prozent wollten sich mit der Nebentätigkeit etwas zusätzlich leisten, elf Prozent müssten Schulden zurückzahlen.

Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) sieht die Zunahme an Teilzeitstellen als einen der Hauptgründe für den Anstieg bei den Zweitjobs. „Ein erheblicher Teil der Beschäftigten in Deutschland möchte mehr arbeiten“, sagt der Arbeitsmarktexperte. Besonders für Menschen mit sogenannten Midijobs, bei denen monatlich maximal 850 Euro verdient werden, sei es schwer, über die Runden zu kommen. Dennoch habe auch die Zahl der Akademiker und Techniker, die einen Zweitjob hätten, erheblich zugenommen. Nach Daten des Mikrozensus, die nicht nur die Minijobber erfassen, gaben 2012 1,873 Millionen Menschen an, sich etwas dazuzuverdienen, davon hatten 25 Prozent einen Hochschulabschluss.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false