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Tarifverträge: Am Verhandlungstisch

In großen Branchen laufen Tarifverträge aus. Die Gewerkschaften wollen die Arbeitsplätze absichern.

Berlin - Geld oder Arbeit – diese Alternative wird die Tarifrunde 2010 prägen. Während es für gut zwei Millionen Beschäftigte im öffentlichen Dienst vor allem um Geld geht, stehen in der Industrie Instrumente zur Beschäftigungssicherung im Mittelpunkt. Groß ist dort die Angst vor Massenentlassungen. Nachdem die Kurzarbeit von der Regierung verlängert wurde, will die IG Metall nun bei der Anwendung des Tarifvertrags zur Beschäftigungssicherung Staat und Arbeitgeber mit in die Pflicht nehmen. Bislang sieht der Vertrag vor, dass Firmen in Schwierigkeiten die Wochenarbeitszeit um fünf Stunden kürzen dürfen; entsprechend niedriger fällt dann der Lohn aus. Diese Regelung soll erweitert werden.

Da die Auslastung von Maschinenbauern und Autozulieferern auch 2010 miserabel sein wird, will die Gewerkschaft die Arbeitszeit weiter kürzen, um Entlassungen zu verhindern. Dabei soll der Staat helfen: Eine weitere Arbeitzeitverkürzung ohne Lohnausgleich sei den Beschäftigten nicht zuzumuten, argumentiert die IG Metall und hat auch gleich eine Idee. „Zum Beispiel durch einen Lohnzuschuss der Bundesagentur für Arbeit“, wie der ostdeutsche IG-Metall-Chef Olivier Höbel meint.

Seiner Einschätzung nach ist der Tarifvertrag Beschäftigungssicherung „das wichtigste Instrument gegen Entlassungen“, weil es hier für die Firmen „eine unmittelbare Liquiditätswirkung“ gebe, wie Höbel dem Tagesspiegel sagte. Um das Ganze für die Arbeitnehmer erträglich zu machen, seien zwei Varianten möglich. Die erste nach dem Vorbild der Stahlindustrie, wo es für eine Stunde Arbeitszeitverkürzung einen 25-prozentigen Teillohnausgleich durch den Arbeitgeber gibt, indem der noch Gehalt für eine Viertelstunde zahlt.

Als zweite Möglichkeit sieht Höbel die Drittelparität: Wenn zum Beispiel die Arbeitszeit um weitere 120 Minuten reduziert wird, dann zahlt der Arbeitgeber noch für 40 Minuten; Geld für weitere 40 Minuten kommt vom Staat und die restlichen 40 Minuten bleiben unbezahlt – das ist dann sozusagen der Beitrag der Arbeitnehmer. Bis auf 25 Wochenstunden könnte Höbel zufolge die Arbeitszeit reduziert werden, wenn solch ein Modell zu tragen käme. Mit der neuen Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) will IG-Metall-Chef Berthold Huber darüber im neuen Jahr sprechen.

„Die Arbeitgeber verhalten sich zu dem Thema sehr zurückhaltend“, sagt Höbel. Doch gerade im Osten „müssen wir alles unternehmen, um die Leute in den Betrieben zu halten, denn die Jungen werden spürbar weniger“. Der fehlende Nachwuchs werde im nächsten Aufschwung ein „Riesenproblem“ für die ostdeutsche Industrie. Und wenn jetzt Arbeitsplätze gestrichen würden, „dann trifft das wegen der Sozialauswahl die Jungen“, befürchtet Höbel. Und die gingen dann womöglich auch noch in den Westen.

Der Dachverband Gesamtmetall will die gesamte Arbeitszeitfrage mit der anstehenden Gehaltstarifrunde koppeln. Und die wird schwer genug. Das ist in der Chemie nicht anders. Die IG Bergbau, Chemie, Energie hält sich denn auch mit einer konkreten Lohnforderung zurück und konzentriert sich wie die Metaller auf Arbeitsplatzsicherheit und die Übernahme von Azubis.

Viel komplizierter ist die Situation im öffentlichen Dienst, für die 1,4 Millionen Angestellten bei Kommunen und dem Bund; wenn der Tarifabschluss dann – wie üblich – auf die Beamten übertragen wird, sind sogar mehr als zwei Millionen Arbeitnehmer betroffen. „Fragen der Beschäftigungssicherung sind für die Mitarbeiter komplett in den Hintergrund getreten“, sagt Verdi-Vorstand Achim Meerkamp über die Stimmung an der Gewerkschaftsbasis. Anders gesagt: Trotz bescheidener Abschlüsse für den öffentlichen Dienst in den vergangenen zehn Jahren wurden permanent Stellen gestrichen; Lohnzurückhaltung bringt also keine Arbeitsplatzsicherheit im öffentlichen Dienst. Mit höheren Einkommen wollen die Gewerkschaften – neben Verdi sind der Beamtenbund sowie Polizei- und Lehrergewerkschaft beteiligt – „den öffentlichen Dienst wieder attraktiver machen“, wie Meerkamp sagt.

Die Fünf-Prozent-Forderung setzt sich zusammen aus einer reinen Geldforderung und diversen Verbesserungen für einzelne Berufsgruppen. Ferner sollen aus gewerkschaftlicher Sicht strukturelle Defizite im Tarif ausgeglichen werden. Der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVÖD), der 2005 den verstaubten Bundesangestelltentarif (BAT) ersetzt hatte, brachte für verschiedene Berufe Verschlechterungen, die bis zu einigen hundert Euro im Monat ausmachen können. Das war der Hintergrund des Kitastreiks in diesem Jahr. Und die Themen Eingruppierung und Aufstiege/Höhergruppierung werden eine Rolle spielen in den am 13. Januar beginnenden Tarifverhandlungen. Zusatzurlaube für Nachtschichten im Nahverkehr oder höhere Überstundenzuschläge für Krankenpfleger und verbesserte Altersteilzeitregelungen komplettieren den Strauß gewerkschaftlicher Vorstellungen. Meerkamp spricht von „qualitativen Forderungen, die materielle Auswirkungen haben“.

Und natürlich wollen Kommunen und Bund diese Auswirkungen so gering wie möglich halten. Würden am Ende der Verhandlungen tatsächlich fünf Prozent stehen, so belastete das die öffentlichen Haushalte um knapp fünf Milliarden Euro. Kaum vorstellbar, wo doch die Finanz- und Wirtschaftskrise riesige Löcher in die Haushalte gerissen hat. Meerkamp hält dagegen mit den finanzpolitischen Beschlüssen der schwarz-gelben Bundesregierung: „Wer in dieser Situation Entlastungen über 24 Milliarden Euro beschließt, der darf sich nicht über eine solche Forderung wundern.“

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