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Sport: Wolfi bleibt locker

Elf Jahre lang hat Wolfgang Loitzl auf einen Sieg im Skispringen warten müssen – diese Geduld könnte nun sein großer Vorteil sein

Als Wolfgang Loitzl den öffentlichen Teil der Pressekonferenz beendet hatte, spürte er die Bürde des Siegers. Moment, sagte er zu den Journalisten, die zum Podium gegangen waren und auf weitere Sätze von ihm hofften. Der 28 Jahre alte Österreicher verschwand in Richtung Toilette, die umfangreiche Flüssigkeitseinnahme vor der Dopingkontrolle forderte offenbar ihren Tribut. Als er zurückkam, sagte er: „Jetzt ist es besser.“

Nach sechs zweiten Plätzen im Weltcup hat Wolfgang Loitzl beim Neujahrsspringen der Vierschanzentournee zum ersten Mal erlebt, was ein Sieg auch bedeuten kann: Siegerehrung, Gratulationen, Fernsehinterviews, Dopingtest, Pressekonferenz, weitere Interviews, weitere Gratulationen. „Das gefällt mir schon“, sagte Wolfgang Loitzl, immerhin hat er elf Jahre auf diesen Augenblick warten müssen. „Aber eigentlich war es zu stressig“, sagt der introvertierte Springer, „es ist zu wenig Zeit, das Ganze zu verarbeiten.“ Er wollte sich am gestrigen Ruhetag vor allem vor dem Fernseher entspannen, doch spätestens vor der heutigen Qualifikation (13.45 Uhr, live im ZDF) für das dritte Springen der Vierschanzentournee am Sonntag in Innsbruck dürfte es mit der Ruhe wieder vorbei sein. Denn nun ist er der Favorit.

Wolfgang Loitzl führt in der Gesamtwertung der Vierschanzentournee mit einem hauchdünnen Vorsprung von 0,5 Punkten vor dem Schweizer Simon Ammann. Damit trägt er in Innsbruck die Hoffnungen eines ganzen Landes. Seit neun Jahren wartet Österreich darauf, endlich wieder den Sieger bei der Vierschanzentournee zu stellen. Zuletzt ist das Andreas Widhölzl in der Saison 1999/2000 gelungen. In der vergangenen Saison hatte der Finne Janne Ahonen den favorisierten Österreichern Gregor Schlierenzauer und Thomas Morgenstern die Trophäe weggeschnappt. Zur Halbzeit der Tournee sieht es aber sehr gut aus für die Springer von Trainer Alexander Pointner. Gregor Schlierenzauer hat als Dritter mit 23,8 Punkten Rückstand auch noch Chancen auf den Gesamtsieg. „Wir sind in einer absolut komfortablen Situation“, sagt Alexander Pointner. Zwei Österreicher gegen Simon Ammann lautet die Formel für die letzten beiden Springen.

Allerdings hatte vor dieser Saison niemand damit gerechnet, dass Wolfgang Loitzl einer von ihnen sein würde. „Es war ein kleiner Vorteil, dass sich alles auf Ammann und Schlierenzauer konzentriert hat“, sagte Wolfgang Loitzl, „ich komme mit der Rolle als Mitfavorit sehr gut zurecht.“ Er profitierte in Garmisch-Partenkirchen davon, dass die Österreicher in Mannschaftsstärke im vorderen Klassement aufgetaucht sind. „Der Thomas Morgenstern hat gezündelt, dann kamen Martin Koch und Gregor Schlierenzauer, und am Schluss Wolfgang Loitzl“, sagte Pointner, „das war eine super Show heute.“

Bei den Olympischen Spielen in Turin, als die österreichische Mannschaft Gold gewann, hatte die Show ohne Wolfgang Loitzl stattgefunden. Er war nur als Ersatzmann nominiert. „Da wusste ich, dass ich etwas ändern muss.“ In dem Vater zweier Kinder wuchsen Ehrgeiz und Einsatz. „Er war jahrelang mit der Situation zufrieden“, sagt Alexander Pointner „mal Zweiter, mal Sechster, und die Leute in seiner Heimat Bad Mitterndorf haben ihm auf die Schultern geklopft und gesagt: „Wolfi, super, du bist unser Bua.“ Alexander Pointner hatte in der Vergangenheit öfter Probleme gehabt, sich auf diese Art einzustellen. „Wenn ich nicht mehr weitergewusst habe, habe ich ihn in den Arsch getreten“, sagt der österreichische Cheftrainer. Eine Methode, die nicht immer die richtige war, wie er zugibt. In dieser Saison habe man sich zusammengerauft. „Er weiß, dass er ein bisschen mehr machen kann, und ich weiß, dass er nicht so ein Typ ist wie Thomas Morgenstern, der alles nach außen trägt.“

Mit Thomas Morgenstern, 22, und Gregor Schlierenzauer, 18, versteht sich Wolfgang Loitzl gut. Trotzdem versuchte er im Sommer, diesen Teamkollegen möglichst wenig zu begegnen. Indem er mit dem österreichischen B-Kader trainiert hat. „Ich wollte dem Vergleich mit Morgenstern und Schlierenzauer aus dem Weg gehen, um Energie zu sparen“, sagte er, „ich wollte mehr Freiheiten für mich einbauen.“ Hinzu kam ein etwas unfreiwilliger Skiwechsel, der sich im Nachhinein als richtig herausgestellt hat. Bereits im Vorbereitungslehrgang konnte er damit den Besten des eigenen Landes schlagen. Und damit die Weltspitze.

In Innsbruck werden ihn 22 000 Zuschauer unterhalb der Bergisel-Schanze erwarten, die meisten werden rot-weiß-rote Fahnen tragen. Eine Erwartungshaltung, die manchen österreichischen Springer schon früher zu Boden gezwungen hat. „Gut, dass es nicht meine Heimat ist, die jetzt kommt“, sagt der Schweizer Simon Ammann, „ich kann davon profitieren.“ Doch der österreichische Cheftrainer glaubt, dass sich Wolfgang Loitzl von dem Druck nicht aus dem Konzept bringen lassen wird. „Ihm ist es egal, auf welchem Platz er liegt“, sagt Alexander Pointner. Nun könnte helfen, dass Wolfgang Loitzl in den vergangenen elf Jahren seiner Karriere Tugenden gelernt hat, die in den nächsten Tagen sehr gefragt sein werden: Ruhe und Geduld.

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