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Wie ein Pfeil in der Luft. Ryoyu Kobayashi besticht mit einer hervorragenden Flughaltung.

© Christof STACHE / AFP

Vierschanzentournee: Ryoyu Kobayashi: Der etwas verrücktere Japaner

Ryoyu Kobayashi dominiert die Vierschanzentournee und hat in seiner Heimat einen Hype ausgelöst – auch weil er sich bewusst von Traditionen abgrenzt.

Der Trubel um ihn ist groß: eine Trophäe nach der anderen wird Ryoyu Kobayashi derzeit überreicht, von einem Mikrofon zum anderen wird er geleitet. Jeder will plötzlich etwas von ihm, schließlich hat der Japaner die ersten beiden Springen dieser 67. Vierschanzentournee gewonnen. Und als Gesamtführender ist man nun einmal der gefragteste Skispringer. Allerdings scheint Kobayashi die große Aufmerksamkeit zu genießen.

Geduldig beantwortet der 22-Jährige wirklich alle Fragen und freut sich über den Hype auch in den sozialen Medien, vor allem in seiner Heimat. Japan gilt gemeinhin als der Hort der höflichen Zurückhaltung. Doch Kobayashi ist anders – er lächelt viel und schreit auch mal ungehemmt seine Freude über einen Sieg heraus. Die 46 Jahre alte Skisprung-Legende Noriaki Kasai hat den Teamkollegen deshalb schon einmal freundlich ermahnt, aber Kobayashi scheint das nicht zu jucken.

„Ich bin halt ein Neo-Japaner“, beschreibt er sich. Als er den Begriff erklären soll, bezeichnet er sich als „etwas verrückten Japaner“. Also einen, der nicht zuerst auf fernöstlich traditionelle Werte steht, sondern moderne Musik und schnelle Autos mag. Fast wären ihm diese Vorlieben zum Verhängnis geworden, denn er verließ sich so sehr auf sein begnadetes Flugtalent, dass er das Training vernachlässigte. „Irgendwann habe ich aber verstanden, dass ich viel mehr tun muss“, sagt Kobayashi. Und dank hartem Training ist aus einem Athleten, dessen beste Weltcup-Platzierung vor dieser Saison ein sechster Platz war, ein Seriensieger geworden.

Wie ein Pfeil durch die Luft

„Es war aber zu befürchten, dass, wenn er irgendwann schnallt, wie das geht, dass er dann wirklich gut springen kann“, sagt Bundestrainer Werner Schuster. „Jetzt hat er eine Tür aufgemacht, das ist unglaublich, wie er springen kann. Er wirkt auch ruhig und klar und ist ein guter Wettkämpfer geworden.“ Sechs von neun Springen hat Kobayashi in diesem Weltcup-Winter gewonnen, dazu zwei weitere Male auf dem Podest gestanden. „Ich bin selbst von meinen Leistungen überrascht, aber das war lange Jahre mein Ziel, so konstant gute Leistungen zu zeigen“, sagt Kobayashi. Die Rolle des großen Tourneefavoriten nimmt er selbstverständlich an, aber „Druck spüre ich deshalb trotzdem nicht“, betont er.

Ryoyu Kobayashi bezeichnet sich als "Neo-Japaner".

© REUTERS/Michael Dalder

Die Skisprung-Experten schwärmen von seinem neuartigen Flugstil. Kobayashis Erfolgsgeheimnis ist, nach dem Absprung „die Ski im Flug irrsinnig schnell aufzunehmen“ (Schuster) und wie „ein Pfeil durch die Luft zu fliegen“ (Olympiasieger Andreas Wellinger). So hat er vor allem in der Anfangsphase des Fluges mehr Geschwindigkeit als alle anderen.

Vor der Tournee hat Kobayashi seine Vorbilder benannt: die Norweger Daniel Andre Tande und Johann Andre Forfang, den Österreicher Gregor Schlierenzauer und natürlich auch Noriaki Kasai. Alle haben in ihrer Karriere schon größere und nachhaltigere Erfolge als er erreicht, aber keiner von ihnen kann derzeit mit ihm mithalten.

Begonnen hat Kobayashi seine Wintersportkarriere einst als Nordischer Kombinierer und war deshalb einst auch ein passabler Skilangläufer. Zum Fliegen hat ihn einst sein Vater gebracht, der als Sportlehrer arbeitet. Auch alle seine drei Geschwister sind Skispringer. Ryoyu Kobayashis fünf Jahre älterer Bruder Junshiro Kobayashi klopfte in den vergangenen Jahren an die Tür zur Weltspitze an und landete auch bei diesem Neujahrsspringen immerhin auf Platz fünf. Jetzt ist er vor allem der familiäre Unterstützer des großen Anwärters auf den ersten japanischen Tourneesieg seit 21 Jahren. „Mein großer Bruder motiviert mich und hilft mir“, sagt Ryoyu Kobayashi.

Sein größter Konkurrent kommt aus Deutschland

Sein größter Rivale um den Gesamtsieg ist weiterhin Markus Eisenbichler. Und so hatte der immer wieder wortkarge Japaner nach dem knappen Sieg in Garmisch-Partenkirchen auch ein besonderes Lob für seinen Konkurrenten parat. „Ich war sehr aufgeregt, weil er so gut war. Das hat mich schon beeindruckt“, sagt Kobayashi über Eisenbichler.

Bundestrainer Schuster hat ebenfalls registriert, dass Eisenbichler bei Kobayashi Eindruck hinterlassen hat. „Markus wird mit jedem gelungenen Sprung natürlich selbstbewusster“, sagt der Österreicher. „Kobayashi ist zwar in einer Überform, aber Markus ist in einer guten Verfolgerposition. Wir müssen einfach den Druck aufrechterhalten.“ Schließlich sind 2,3 Punkte oder umgerechnet 1,27 Meter Rückstand fast gar nichts. Bislang konterte der Neo-Japaner jedoch alle Angriffe nervenstark, obwohl er jeweils die schlechteren Wind-Bedingungen als der Bayer hatte. Und nun steht am Freitag auch noch das Springen in Innsbruck an, der Schicksalsschanze der Deutschen.

Hier büßten die letzten deutschen Anwärter auf den Tournee-Gesamtsieg – Severin Freund (2015/2016) und Richard Freitag (2017/2018) – durch Stürze jeweils ihre Siegchancen ein und verletzten sich. Beide mussten sich im Duell mit den damaligen Überfliegern Peter Prevc (Slowenien) und Kamil Stoch (Polen) geschlagen geben. Genauso ein Ausnahmespringer ist auch Ryoyu Kobayashi, trotzdem bleibt Markus Eisenbichler entspannt. Er will endlich den ersten Weltcup-Sieg seiner Karriere feiern: „Innsbruck ist eine schöne Schanze, wir hatten da im Sommer mehrere Einheiten und die waren traumhaft. Ich kann extrem gut Skispringen.“ Allerdings gibt es derzeit eben einen Athleten, der es noch etwas besser kann: Ryoyu Kobayashi.

Lars Becker

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