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Fahnenkleid. Japans Trainer Norio Sasaki zeigt feiernd Flagge.

© AFP

Weltmeister Japan: Glauben, wollen, siegen

Die Japanerinnen gewinnen mit einem Erfolg gegen die USA zum ersten Mal den WM-Titel und gleichen widrige Bedingungen in der Vorbereitung durch eine grandiose Einstellung aus.

Sie sahen aus wie Zwerge, die durch ein Meer aus goldenen Luftschlangen wateten. Die riesigen Glitzerstreifen waren vom Dach des Frankfurter Stadions zu ihren Ehren hinabgeregnet. Und die Japanerinnen hatten nun Mühe, sich durch die Goldschlangenberge auf dem Rasen hindurchzukämpfen. Mit ihrem Dankesplakat in den Händen machten sie sich auf ihre letzte und wichtigste Ehrenrunde. Auch kurz vor Mitternacht blieb an diesem Sonntagabend der Großteil des Publikums, um jene sympathischen Spielerinnen nach ihrem dramatischen 5:3 im Elfmeterschießen gegen die USA zu feiern, deren Weg zum ersten WM-Titel in den vergangenen drei Wochen einem märchenhaften Abenteuer glich.

Wer hätte gedacht, dass nur vier Monate nach dem schlimmen Erdbeben mit anschließendem Tsunami die Menschen in Tokio auf der Straße tanzen würden? Mehr als 15 000 Menschen waren gestorben, viele Tausende werden wohl niemals in ihre Heimat rund um das zerstörte Atomkraftwerk Fukushima II zurückkehren können. Und trotzdem feierten und jubelten am Montag um kurz vor sieben Uhr morgens die Menschen, als 21 japanische Frauen in Frankfurt am Main von einem Feuerwerk begleitet den begehrtesten Pokal ihres Sports in den Himmel reckten. Sie waren in einer der schlimmsten Stunden ihres Landes um den halben Globus geflogen, um Fußball zu spielen. Und sie werden als Weltmeisterinnen heimkehren.

„Wir wissen, dass viele Leute in der Nacht aufgestanden sind, um das Spiel zu gucken“, sagte Junji Ogura, der Präsident des Japanischen Fußballverbands (JFA), der sich, das Haar voller Glitzerpartikel, das T-Shirt mit der Aufschrift „Champions“ einfach über den Anzug gezogen hatte. „Das ist wirklich sehr, sehr wichtig für unser Land.“ Und Ayumi Kaihori, die im japanischen Tor trotz ihrer bescheidenen 1,70 Meter heldenhaft zwei Elfmeter gehalten hatte, sagte: „Wenn man die Hoffnung nicht verliert, dann kann man alles schaffen. Das war, was wir hier rüberbringen wollten.“

Es ist ihnen besser gelungen, als sie es selbst für möglich gehalten hätten. Auch die japanische WM-Vorbereitung lief aufgrund der Katastrophe alles andere als normal ab. Wochenlang ruhte der Spielbetrieb, dann musste Norio Sasaki sein Team ohne Flutlicht trainieren, weil die Menschen zum Stromsparen angehalten waren. Und das Leistungszentrum der JFA, in dem die Frauen hatten trainieren wollen, lag nur 25 Kilometer von Fukushima entfernt und wurde unbespielbar. „Wir wussten, wie sich andere Nationen wie Deutschland vorbereiten“, sagte Kozue Ando. „Da waren wir etwas neidisch.“

Doch Deutschland wurde besiegt, ebenso wie Schweden und die USA – zum ersten Mal nach 26 Begegnungen. Die Japanerinnen waren die beste Mannschaft des Turniers und haben sich mit Willen und Glauben an sich selbst auch dann durchgesetzt, wenn sie, wie gegen die USA, eigentlich unterlegen waren.

Im letzten Akt dieses in jeder Hinsicht überraschenden Turniers hat sich die japanische Botschaft endgültig potenziert. Zweimal geriet die Mannschaft in Rückstand, zweimal glich sie wieder aus, rettete sich ins Elfmeterschießen, das die USA mit der als bester Torhüterin des Turniers ausgezeichneten Hope Solo doch hätten gewinnen müssen. Doch Kaihori war es, die hielt, nicht Solo. Diese unerwartete Heldin des Abends führte die laut singende japanische Polonaise an, die sich weit nach Mitternacht durch die Katakomben des Frankfurter Stadions schob und in verschämtes Kichern ausbrach, als sie plötzlich auf die wartenden Medienvertreter traf. „Ich hatte viel Hilfe von meinen Mitspielerinnen“, sagte Kaihori. „Und die Amerikanerinnen haben mir auch geholfen, weil sie ja verschossen haben.“ Da war aber noch ein anderer Grund: „Ich wollte einfach halten.“

Der reine Wille war es auch, der Homare Sawa zum zweiten Ausgleich verhalf, in der 117. Minute. Die 32-Jährige wollte bei ihrer fünften WM-Teilnahme das bislang beste Ergebnis, das Erreichen des Viertelfinals 1995, überbieten. „Aber ich hätte niemals gedacht, dass ich den Goldenen Ball, den Goldenen Schuh und den WM-Titel auf einmal gewinnen würde“, sagte Sawa und vergaß vor lauter Auszeichnungen den Fairplay-Preis, den sie auch noch bekommen hatte. Die beste Spielerin, die meisten Tore, Weltmeisterin – Sawa fiel es schwer, das nach 16 Jahren in der Nationalmannschaft zu begreifen. „Das ist alles so schnell passiert, dass ich gar nicht weiß, ob das Realität ist.“

Spätestens wenn die Japanerinnen am Dienstagmorgen in Tokio landen und von feiernden Menschen empfangen werden, werden sie begreifen, was sie in den vergangenen drei Wochen geleistet haben. Nicht nur für den Fußball.

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