zum Hauptinhalt
Von oben wurde es nass. Robert Harting wurde in Helsinki vom Regen überrascht, trotzdem gewann er bei der Europameisterschaft die Goldmedaille im Diskuswerfen. Foto: AFP

© AFP

Sport: Er weint nicht, wenn der Regen fällt

Harting wird bei jenen Bedingungen Diskus-Europameister, die ihn auch in London erwarten könnten.

Werner Goldmann saß im Bus zum Stadion und sagte: „Es wird regnen.“ Robert Harting saß neben ihm und sagte: „Es wird nicht regnen.“ So läuft das immer, der Trainer Goldmann ist Pessimist, der Diskus-Weltmeister Harting ist Optimist. Und weil das so ist, hatte Harting auf dem Weg zum Diskus-Finale bei der Leichtathletik-EM keine Regen-Sachen dabei. Er blickte aus dem Fenster des Buses und sah: Es regnet nicht.

Zwei Stunden später stand er im Ring und spürte: Es regnet doch. Nach dem Wettkampf sagte er denn auch selbstkritisch: „Ich muss öfter auf meinen Trainer hören, da muss ich in London mehr aufpassen.“ Bei den Olympischen Spielen, meinte er.

Es regnete also in Helsinki, der Ring war nass, die ersten beiden Würfe von Harting sahen aus, „als hätte ich Diskuswerfen gerade erst gelernt.“ Aber nach sechs Würfen hatte er den EM-Titel gewonnen, weil er im vierten Versuch so warf, wie man es von einem zweimaligen Weltmeister kennt, der schon zweimal weiter als 70 Meter geworfen hat. Harting trat in Helsinki aus vollem Training an, trotzdem landete die Scheibe bei 68,30 Metern. Damit lag er klar vor Olympiasieger Gerd Kanter (Estland, 66,53 Meter) und Zoltan Kovago (Ungarn, 66,42 Meter). Harting hatte seinen 28. Wettkampf in Folge gewonnen. Der letzte deutsche Europameister war Lars Riedel, der Chemnitzer gewann 1998.

Kurioserweise hatte sich Harting vor dem Wettkampf noch Regen gewünscht. Weil es doch in London auch so oft regnet, man kennt das ja. Also wollte er diese Bedingungen simulieren. In Helsinki hatte er seinen Regen. Und wenn der Ring nicht trocken ist, dann hat es ja auch seinen Vorteil für den Berliner, zumindest derzeit, da er in vollem Training ist. Der Ring ist dann „nicht so stumpf“, sagte Harting. „Ich muss dann nicht so viel Beinarbeit leisten, meine Beine sind aktuell sehr müde.“

Nur kurz konnte die Konkurrenz in Helsinki mit dem zweimaligen Weltmeister mithalten. Nach einem Wurf auf 63,02 Meter lag Harting nach dem ersten Durchgang lediglich auf dem dritten Rang. Trotzdem: „Es gab keine Zweifel“, sagte Harting, „nur ein Warten, ein Immer-wieder-aufwärmen.“ Im vierten Durchgang sorgte er dann für klare Verhältnisse. Er animierte das Publikum zum rhythmischen Klatschen und beförderte die Scheibe unter dem Raunen der Zuschauer bis jenseits der 68-Meter-Marke. Doch der Versuch war, angesichts von Hartings Trainingszustand nicht ungewöhnlich, alles andere als optimal. Der Diskus sei eigentlich eher schlecht geflogen, sagte der Berliner. „Ich habe viel Kraft in den Wurf hineingesteckt, so dass die Technik nur mittelmäßig war.“ Aber zum Glück habe er nun ja vier Wochen Zeit, „um ein bisschen Harmonie reinzubringen.“

Clemens Prokop, der Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbands (DLV), war dagegen hochzufrieden mit dem neuen Europameister: „Klasse. Der Titel wird ihm Rückenwind für die Olympischen Spiele geben.“ 2010 hatte Harting die Goldmedaille bei den Europameisterschaften noch knapp verpasst. Damals in Barcelona hatten ihm 40 Zentimeter zum Titelgewinn gefehlt.

Aber für Harting ist Helsinki quasi schon in dem Moment abgehakt gewesen, in dem er seinen Titel gewonnen hatte. „Ich hoffe, dass nun noch ein Titel kommt“, sagte er. „Die EM war nur eine Zwischenstation.“ An der Endstation London möchte er wieder ganz oben stehen, das formulierte er am späten Samstagabend ganz deutlich: „In London will ich natürlich um den Olympiasieg kämpfen.“ Alles andere wäre auch überraschend.

Das ist schon bemerkenswert für einen Mann, der noch Ende Januar im Kraftraum gehockt hatte wie ein Rentner, der sich verlaufen hatte. Das operierte Knie schmerzte fürchterlich, Harting konnte mit den Beinen keine Gewichte stemmen, und er überlegte ernsthaft, ob er für sich nicht die Saison frühzeitig abhaken sollte. Aber dann kam es zum Grundsatzbeschluss: „Wenn die Schmerzen schon mal da sind, muss man sie hinnehmen.“ Und mit Schmerzmitteln möglichst betäuben. Harting beschloss, einfach weiter zu trainieren. Parallel dazu lief das medizinische Programm, und irgendwann Ende Frühjahr war er wieder schmerzfrei.

Kurz darauf feierte er den ersten 70-Meter-Wurf seiner Karriere. Aber ein „70-Meter-Niveau kann man nicht über acht, neun Wochen halten“, das sagte er auch. Also muss er zwischendrin „die Form zerstören“. Damit begann er intensiv direkt nach dem Gewinn der deutschen Meisterschaft in Wattenscheid.

In Helsinki hatte er sein Trikot nicht zerrissen, anders als noch nach seinen WM-Titeln. Auch das zeigt, wie er den EM-Gewinn einschätzt. Am Regen jedenfalls lag die fehlende Einlage nicht. „Ich bin ja nicht aus Zucker“, sagte Harting fast schon empört. „Und wenn ich aus Zucker bin, dann aus wetterrestistentem.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false