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Sport: Eine Nebenklägerin beim Dopingprozess sucht Klarheit

Martina Gottschalt ist 34 und eine attraktive Frau. Ungefähr dreimal pro Woche sagen Leute zu ihr: "Guten Tag, Herr Gottschalt.

Martina Gottschalt ist 34 und eine attraktive Frau. Ungefähr dreimal pro Woche sagen Leute zu ihr: "Guten Tag, Herr Gottschalt." Es ist nicht böse gemeint, die Leute hören nur ihre Stimme. Es ist eine tiefe Stimme, eine Männerstimme. "Ich bin die Ehefrau", antwortet Martina Gottschalt dann am Telefon. Es klingt inzwischen schon routiniert, sie musste zu oft schon korrigieren. Die tiefe Stimme ist noch eine harmlose Folge des DDR-Dopings. Martina Gottschalt war DDR-Meisterin im Schwimmen, sie gewann über 100 und 200 Meter, und als Jugendliche musste sie Anabolika-Pillen schlucken. "Ich habe deswegen heute noch hormonelle Störungen", sagt sie. Das ist die weniger harmlose Folge des Dopings.

Aber es ist nichts gegen die Behinderung ihres Sohnes. Er ist jetzt 15, ein stiller, schwarzhaariger Junge. Seit seiner Geburt hat er einen Klumpfuß. Dreimal wurde er operiert, doch die Behinderung konnte nicht korrigiert werden. Martina Gottschalt weiß nicht, ob das Doping schuld an der Behinderung ist. Aber die Frage treibt sie um. Im Prozess gegen den DDR-Verbandsarzt Lothar Kipke, den Mann, der die Anabolikadosierungen festgelegt hatte, sitzt sie ihm als Nebenklägerin gegenüber. Und der Zorn, die Sorge um ihren Sohn übermannt sie. "Ich kenne mehrere Fälle von Sportlerinnen, deren Kinder Klumpfüße haben. Das kann doch kein Zufall sein", sagt sie zu Kipke und unterstellt ihm indirekt eine Mitverantwortung. Doch Kipke sagt, er wisse von nichts, das Gericht lehnt ihren Antrag einer wissenschaftlichen Studie zum eventuellen Zusammenhang zwischen Doping und Missbildungen ab. Das ist schlimm für Martina Gottschalt. "Ich finde es natürlich enttäuschend", sagt sie, "dass dieser Antrag abgelehnt wurde." Die Strafe für Kipke ist für sie zweitrangig. Sie wollte Klarheit haben. Und aufklären. Aber sie möchte auch ihren Sohn schützen. Ein schwieriger Spagat.

Ein Fernsehreporter will ihn im Gerichtssaal filmen. Aber nur das Bein, sagt sie. Nicht das Gesicht. Sie möchte ihren Sohn nicht ausstellen wie eine Jahrmarkt-Figur. Ihr geht es um "Aufklärung", nicht um Präsentation. Es gibt keinen Beweis dafür, dass Behinderungen von Kindern die Folgen von Doping sind. Wenn Aufklärungen bedeuten sollen, dies als Tatsache zu verbreiten, geht sie fehl. Neben Martina Gottschalt sitzt Jutta Gottschalck. Die Mutter will auch wissen, ob der Dopingmissbrauch auch das Leben ihrer Tochter beeinträchtigt hat. Die Tochter ist sechs Jahre alt und auf einem Auge blind. Eine Tragik ohne Hintergründe?

Die frühere Leistungsschwimmerin ließ sich untersuchen. "Ich wurde auf den Kopf gestellt, aber bei mir hat man nichts gefunden, auch bei meinem Mann nicht, auch nicht bei unseren Familien. Nichts, was auf einen genetischen Defekt hinweist." Auch eine Infektion während der Schwangerschaft fällt als Erklärung aus. Dann, haben ihr die Ärzte gesagt, wäre die Tochter auf beiden Augen blind. Also doch eine Spätfolge von Doping? Sie weiß es nicht. Und deshalb prüft sie die Ablehnung des Antrags auf wissenschaftliche Untersuchung. "Ich muss das erst einmal verarbeiten." Das Urteil, 15 Monate auf Bewährung, ist zweitrangig. Eine gewisse Befriedigung, mehr nicht. Bedeutsam ist, dass sie wieder vor einer Wand steht. Es gibt derzeit keinen Lösungsweg. Es gibt nur ihren Willen. "Ich werde weiterhin um mein Kind kämpfen."

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