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Sport: Ein ernstes Spiel

Bei der Tischtennis-WM in Schanghai gibt sich China politisch weltoffen und sportlich verbissen

Beim Aufwärmen wird aus der besten Nationalmannschaft der Welt auf einmal eine brave Schulklasse. Die Spieler stellen sich im Kreis auf und lockern gleichzeitig ihre Arme und Beine, die Tischtennis-Weltmeister aus China, Ma Lin genauso wie Kong Linghui oder Wang Hao. Schweigend machen sie alles nach, was ihnen ihr Trainer Liu Guoliang vorgibt. Anschließend trainieren sie eine Stunde in der großen runden Sporthalle in Schanghai. Zu dieser Übungseinheit sind gleich sieben Trainer mitgekommen. Sie nehmen auf den Stühlen der Schiedsrichter Platz und beobachten ihre Schüler. Ein paar Tische weiter treiben die beiden Schweden Jan-Ove Waldner und Jörgen Persson den Ball locker übers Netz und machen hinterher noch ein paar Dehnübungen. Weltmeister waren sie auch einmal. Doch was sie in der Sporthalle machen, bestimmen sie selbst.

Die Chinesen haben es beim Tischtennis schon immer genau genommen, aber in diesen Tagen wollen sie nichts dem Zufall überlassen. Sie sind Gastgeber der Einzel-Weltmeisterschaft und haben sich als Austragungsort Schanghai ausgesucht, ihre offenste und modernste Stadt auf dem Festland, die mit ihren haushohen Leuchtreklamen inzwischen fast genauso glitzert wie Tokio. Sie wollen zeigen, wie sehr sich ihr Land verändert hat, seit zum letzten Mal eine WM in China stattfand, vor zehn Jahren in Tianjin. Und sie wollen zeigen, wie viel ihnen Tischtennis immer noch bedeutet.

Das beginnt bereits am Flughafen, wo die Teilnehmer der Weltmeisterschaft durch den Diplomateneingang einreisen dürfen. Für die Eröffnungsfeier haben die Veranstalter das bekannteste Bauwerk der Stadt gewählt, den „Oriental Pearl Tower“, den Fernsehturm, der mit seinen beiden Kugeln aussieht wie aus einer Spielzeugwelt. Rund um die Sporthalle „Shanghai Gymnasium“ flattern WM-Fahnen und an einem Hochhaus zeigen Neonröhren das Maskottchen der Veranstaltung, einen grünen Delfin. Schon am ersten Tag sind 1000 Zuschauer in der Halle, obwohl gar kein Chinese an der Platte steht. Die Spieler der stärksten Tischtennis-Nation würden sich in der Qualifikation nur langweilen. Kinder rufen trotzdem den Namen von Kong Linghui, dem Olympiasieger von Sydney. Und die Zuschauer verfolgen mit Begeisterung, wie der kleine Abwehrspieler Jason Jia Ren Ho aus Singapur die Angriffsschläge von Ali Al-Hasan aus Kuwait immer wieder zurückbringt und das Spiel am Ende gewinnt. Eine Begegnung, wie man sie in Deutschland wohl in der Regionalliga zu sehen bekäme.

Tischtennis ist ein Symbol in China, etwa für die Leistungsfähigkeit des Landes. Keine andere Sportart dominieren die Chinesen so wie Tischtennis. Ihr Beitrag zum Tischtennis sind auch immer wieder neue Schläge und Spielstile, die zum Teil an Universitäten entwickelt werden. Außerdem ist Tischtennis ein Symbol der Verständigung. Für ihre politische Annäherung in den Siebzigerjahren wählten die Vereinigten Staaten und China Tischtenniswettkämpfe als Rahmen, damals entstand die Pingpong-Diplomatie.

Was man in China mit Tischtennis werden kann, davon kann Yang Shuan einiges erzählen. Bei der WM 1995 war er noch ein einfacher Mitarbeiter im Generalsekretariat des Chinesischen Tischtennis-Verbandes. Dann begann sein Aufstieg im chinesischen Verband, und damit wurde ihm auch immer mehr politische Verantwortung übertragen. Inzwischen ist er Vize-Sportminister in China. Yang Shuan ist ein freundlicher Mann, der seinen Gesprächspartnern gerne auf die Schultern klopft und ihnen mit seinem Lächeln auch wirtschaftliche Misserfolge noch nett verkaufen könnte. „Wir folgen mit dieser Meisterschaft unserer politischen Linie, das Land zu öffnen. Tischtennis ist auch eine Brücke der Freundschaft“, sagt Yang Shuan. Vizepräsident des Internationalen Tischtennis- Verbandes ist er auch und ebenso Vizepräsident des Organisationskomitees für die Olympischen Spiele 2008 in Peking. Die politische Botschaft der Veranstaltung haben die Ausrichter auf ein großes Plakat in der Halle drucken lassen: „Einheit – Freundschaft – Harmonie – Entwicklung.“ In einer Nachbarhalle ist zudem eine Ausstellung mit der Geschichte des Tischtennis aufgebaut worden, die Chinesen verstehen sich schließlich als kulturelle Erbhüter der Sportart.

Für das kommunistische Regime in China ist Tischtennis der wichtigste Sport. „Tischtennis ist ein Sport für alle, Frauen und Männer, Jung und Alt. Er ist einfach, hält gesund, und es kostet nicht viel, ihn zu betreiben. Wir sind schließlich immer noch ein Entwicklungsland“, sagt Yang Shuan. Offiziell registriert seien in China zwar nur einige tausend Spieler, sagt Yang Shuan. „Aber auch auf dem Land finden sie in Werkstätten und Büros Tischtennisplatten, an denen die Arbeiter immer wieder gerne spielen.“ Der Verband schätzt, dass 50 Millionen Menschen regelmäßig spielen. Tischtennis macht den sozialen Aufstieg möglich. Wohl auch deshalb ist der Zulauf zu den geschätzten 2000 Schulen des Landes groß, die Tischtennis als Schwerpunkt anbieten. Am Ziel dieses Wegs steht ein Platz im Tischtenniszentrum von Peking, in dem sich 20 hauptamtliche Trainer um die hundert besten Spieler des Landes kümmern.

In den vergangenen Jahren hat der Volkssport in der Volksrepublik jedoch harte Konkurrenz bekommen. Mit der Öffnung des Landes sind auch die Herausforderungen gestiegen, der staatliche Sportkanal CCTV 5 überträgt zwar sechzig Stunden live von der WM und hofft dabei auf 100 Millionen Zuschauer. Doch in einer gewöhnlichen Woche zeigt er mehr Bilder vom amerikanischen Basketball und dem englischen Fußball als von chinesischen Tischtennisspielern. Der Erfolg der Tischtennisspieler ist einer von vielen, nachdem die Chinesen bei Olympia in Athen gleich 32 Goldmedaillen gewonnen haben. In drei Jahren in Peking sollen es noch mehr werden.

Bei dieser Konkurrenz wäre es hinderlich, wenn die Tischtennisspieler ihre weltweite Vormachtstellung verlören. Bei den Damen dominiert China zwar seit langem, wahrscheinlich werden in Schanghai wieder vier Chinesinnen im Halbfinale stehen. Aber es grenzt schon an eine Blamage, dass im Herreneinzel weder der Weltmeister noch der Olympiasieger aus China kommen. Die WM in Schanghai hat daher auch ein sportliches Ziel: den Titel bei den Herren wieder zurückzuholen.

Dafür haben sich die Chinesen auf ihre großen Stärken besonnen: Disziplin und Arbeit in der Gruppe. Der Vorbereitungslehrgang für Schanghai war so hart wie seit langem nicht. Vier Wochen lang sollten die Spieler bis um acht Uhr abends an ihrer Technik und ihrer Kondition arbeiten. Nach Hause telefonieren durften sie nur am Wochenende. Vorher hatten die Trainer alle Mobiltelefone eingesammelt. Als der Cheftrainer Cai Zhenhua zu Besuch kam, sah er in der Halle den Weltranglisten-Zweiten Ma Lin: „Die Qualen und die Erschöpfung standen ihm ins Gesicht geschrieben. Beklagt hat er sich aber nicht.“ Die Chinesen wissen, dass sie unter Erfolgszwang stehen, um die Position des Tischtennis zu verteidigen – gegenüber den anderen Ländern, aber auch im eigenen Land. Vor zwei Jahren noch hatte Cai Zhenhua von den Erwartungen an seine Spieler nichts wissen wollen, inzwischen sagt der Cheftrainer: „Wir kennen den Druck.“ Auch das gehört wohl zur neuen Offenheit.

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