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Sport: Die Wandlung der Sphinx

Von Erik Eggers Leverkusen. Drei Minuten vor dem Ende des Spiels zwischen Bayer Leverkusen und Manchester United wagten es die ersten Leverkusener Fans, vom Finale zu singen.

Von Erik Eggers

Leverkusen. Drei Minuten vor dem Ende des Spiels zwischen Bayer Leverkusen und Manchester United wagten es die ersten Leverkusener Fans, vom Finale zu singen. Voreilig und verwegen wirkte dieser Jubel. Zwar hielt das Team seit der Halbzeitpause jenes 1:1, das ausreichen würde. Angesichts der dichten Atmosphäre auf dem Rasen wollten aber nur wenige im Stadion dies für das Endergebnis halten. Alle erwarteten eine Schlussoffensive des Favoriten, auf den finalen Stich in das müde Fleisch Leverkusens.

Die Angst war berechtigt. Kurz vor Schluss warf das Team von Sir Alex Ferguson alles nach vorn, um endlich den Nachteil des 2:2 von Old Trafford auszugleichen. Aufwühlende Szenen gab es nun, aufregende Momente, wie sie nur eine K.-o.-Runde zu produzieren vermag. Allein Berbatow stand zweimal frei vor Manchesters Keeper Barthez, verschlief aber die Entscheidung. Auf Leverkusener Seite rettete Placente auf der Linie. Nicht nur dieses Mal setzte die Atmung aus, flimmerten die Herzen der Fans. Aber es fiel kein Tor mehr. Es blieb bei den Treffern von Roy Keane und dem Ausgleich durch Oliver Neuville. Leverkusen steht am 15. Mai im Glasgower Hampden-Park im Champions-League-Finale gegen Real Madrid. Traurig war das nur für einen: Ze Roberto wird wegen seiner dritten Gelben Karte fehlen.

„Ein unglaubliches Spiel gegen eine Supermannschaft“ hatte Leverkusens Trainer Klaus Toppmöller gesehen. „Die wollten uns viel laufen lassen und uns dann abschießen." Eine seltsame Taktik, die ohne den Ausgleich Neuvilles beinahe aufgegangen wäre. Nach dem 1:1 aber konnten „wir uns wieder tief stellen und auf Konter warten“, sagte Mittelfeldspieler Yildiray Bastürk. Der Türke war der Schlüsselspieler des Abends: Wie im Hinspiel suchten ihn die Mitspieler aufgrund seiner überragenden Ballsicherheit. Allein die Intelligenz seiner Vorlagen brach die englische Abwehr auf. Aber auch Bastürk kroch wie seine Mitspieler gegen Spielende „völlig auf dem Zahnfleisch“ (Carsten Ramelow) und wurde schließlich ausgewechselt. Die Mannschaft war offenkundig am Ende ihrer Kräfte. Ein großer Teil ist angeschlagen. Lucio und Sebescen wollten in der Pause ausgewechselt werden. Es ging nicht, weil Kapitän Jens Nowotny in der 10. Minute mit Verdacht auf Kreuzbandriss vom Platz getragen worden war. Auch Michael Ballack konnte, wie er später sagte, „eigentlich gar nicht spielen". So reduzierte sich dieses Spiel, das laut Ballack zwar „kein großer Fußball war, aber großer Kampf“, in der Tat auf eine pathetische „Frage des Willens". Am Ende triumphierte das veritable Krankenlager über die nach Fergusons Verständnis „beste Mannschaft der Welt".

Eine rätselhafte Verwandlung vollzog sich in einem Team, das drei Tage zuvor in Nürnberg die Initiative in der Meisterschaft aus der Hand gegeben hatte. „Der Trainer hat uns durch seine Mimik und Gestik das Selbstvertrauen zurückgegeben“, sagte Bernd Schneider. Eine Sphinx ist dieses Team, ein unerklärliches, charismatisches Gebilde. Der verzückende Beweis dafür, dass Erfolg im modernen Fußball noch immer nicht gekauft werden kann.

Vielleicht war es jenes sozialromantische Element, dass auch Bobby Charlton hinweghalf über das unvorstellbare Ausscheiden seines Teams. Er, der 1968 unter Matt Busby das erste Mal für ManU die europäische Krone gewonnen hatte, trat in dem Moment aus der Arena, als eine stumme Parade tief enttäuschter englischer Fans zu ihren Bussen zog. Und er hob mit großer Geste seinen Daumen, als ob er ihnen sagen wollte: All das hier ist ein Mirakel, es hat sich nicht wirklich ereignet. Hatte es aber doch.

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