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In einem Team - und gemeinsam duschen: Jens Lehmann und Thomas Hitzlsperger (l.).

© imago sportfotodienst

Rassismus im Fußball: „Dass Lehmann auffällig geworden ist, wundert mich nicht“

Jens Lehmann steht beispielhaft für den Alltagsrassismus im Fußball. Oder ist dieser Schluss übertrieben? Ein Experte klärt auf.

Fußball und Rassismus scheinen gut zusammenzupassen. Auf der ganzen Welt, aber sicher auch in Deutschland. Auf den Amateurplätzen kommt es an jedem Spieltag zu etlichen rassistischen Vorfällen. Wie das WDR-Nachrichtenmagazin Westpol im vergangenen Jahr berichtete, werden nur die wenigsten Fälle geahndet. Rassismus im Fußball zeigt sich aber auch regelmäßig auf der Ebene des Profifußballs.

So warb Schalkes ehemaliger Präsident Clemens Tönnies vor zwei Jahren bei einer öffentlichen Veranstaltung für mehr Kernkraftwerke in Afrika, damit dort wieder mehr Licht sei und die Afrikaner nicht im Dunkeln sitzen und Kinder produzieren würden. Der frühere Nationalspieler Steffen Freund stellte ein Jahr später in einer Expertenrunde fest, dass der Schalker Spieler Nabil Bentaleb zwar unglaublich viel Talent habe, aber nun einmal französisch-algerischer Herkunft sei.

Hierbei müsse man „wissen, dass eine bestimmte Aggressivität, auch eine Disziplinlosigkeit schnell kommt, wenn er nicht derjenige ist, der gesetzt ist“. Und jüngst sendete der frühere Nationaltorhüter Jens Lehmann versehentlich eine Nachricht an den ehemaligen Profifußballer und heutigen TV-Experten Dennis Aogo mit folgendem Inhalt: „Ist Dennis eigentlich euer qotenschwarzer?“ (sic!).

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Das ist nur eine kleine Auswahl an Beispielen von eindeutig rassistischen Zuschreibungen im Bereich des Profifußballs. Diese hatten im Übrigen Konsequenzen für Tönnies wie Lehmann. Beide verloren ihre Posten im Fußball. Die Frage ist nun, ob der Rassismus im Fußball substanzieller, tiefschürfender ist als in anderen gesellschaftlichen Bereichen. Oder ob er so stark wahrgenommen wird, weil der Profifußball in einem großem öffentlichen Licht steht.

Gerd Wagner, 62, beschäftigt sich schon viele Jahre mit dem Thema Rassismus im Fußball.
Gerd Wagner, 62, beschäftigt sich schon viele Jahre mit dem Thema Rassismus im Fußball.

© Promo

Bundesweit gibt es kaum jemanden, der sich mit der Thematik so intensiv beschäftigt wie Gerd Wagner. Der 62-Jährige arbeitet seit fast zwanzig Jahren bei der Koordinationsstelle Fanprojekte (KOS), ein Schwerpunkt seiner Arbeit ist der Rassismus im Fußball. Wagner erinnert sich an ähnlich gearteten Rassismus in der Vergangenheit. An Lothar Matthäus, der den Frauen der deutschen Basketballnationalmannschaft zurief: „Ey Mädels, unser Schwarzer hat den Längsten!“ An den früheren VfB-Spieler Thorsten Legat, der „Negersaft“ auf ein Poster kritzelte, auf dem sein Mannschaftskollege Pablo Thiam mit einer Trinkflasche abgebildet war (danach mussten alle Spieler das Wort aufschreiben, ein Graphologe entlarvte Legat).

Dass Lehmann auffällig geworden sei, wundere ihn nicht, sagt Wagner. „Er fiel schon früher durch ungeschickte Äußerungen auf.“ Wagner denkt an das Outing des früheren Nationalspielers Thomas Hitzlsperger. Lehmann kommentierte dies sinngemäß dahingehend, dass er nicht mit Schwulen duschen wolle.

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„Die jüngste Äußerung ist ein typischer Fall von Alltagsrassismus“, erklärt Wagner. „Sie zeigt, dass es immer noch Menschen gibt, die kein Bewusstsein dafür haben, was so etwas bei denen bewirkt, die gemeint sind.“ Sicher, Lehmann habe die Nachricht unbeabsichtigt an Dennis Aogo geschickt. „Aber dass er überhaupt so eine Formulierung benutzt, lässt tief blicken. Da helfen auch die ganzen Smileys nicht, die er in seiner Nachricht benutzt hat.“ Offensichtlich sei noch nicht bei allen angekommen, dass man keine Witze mehr über Schwarze macht, stellt Wagner fest.

Die Häufung solcher Aussagen muss dabei nicht zwingend ein Ausdruck dafür sein, dass der Rassismus im Fußball überproportional hoch ist. „Es gibt keine Zahlen, die belegen, dass Äußerungen wie jene von Lehmann im Fußball häufiger auftauchen als in anderen Bereichen“, sagt Wagner. Man müsse bedenken, dass der Profifußball und seine Stars wie Ex-Stars in einem sehr großen öffentlichen Fokus stehen. Der Aufschrei bei rassistischen Vorfällen sei daher in diesem Bereich besonders groß. „Und das ist letztlich gut so.“

Das sehen aber nicht alle so. Trainer Ewald Lienen zum Beispiel, eher bekannt als liberale und aufgeklärte Stimme des Profifußballs, kritisierte am Donnerstag die Verhältnismäßigkeit, mit der Lehmann nach Bekanntwerden des Vorfalls angegriffen worden war. „Wir schießen in meinen Augen in der Beurteilung von Menschen völlig übers Ziel hinaus“, sagte der 67-Jährige im NDR 2-Bundesligashow-Podcast. Lienen steht mit dieser Meinung nicht alleine da. Vielen sind die Empörungswellen, die nach ähnlich gearteten Aussagen wie jenen von Tönnies oder Lehmann losgetreten werden, zu doll und zu wenig nachhaltig. Was bringt ein Aufschrei, der kurz aufschreckt, aber nicht wirklich etwas verändert?

Rassismus-Experte Wagner kann mit derlei Einlassungen nicht viel anfangen. „Wenn nun Ewald Lienen, den ich sehr schätze, findet, dass Jens Lehmann zu hart verurteilt wurde, halte ich das für schwierig“, sagt er. Denn Lienen zähle eben nicht zur betroffenen Gruppe. „Ich könnte mich nie so äußern, weil ich nicht am eigenen Leib erfahren habe, was Rassismus mit einem macht.“

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