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Hertha BSC: Das passt ja

Hertha BSC fühlt sich im Moment nicht unbedingt von höheren Mächten begünstigt. Jetzt ärgert sich schon ein Verein aus Lettland, wenn es bei Hertha BSC nur zu einem Unentschieden reicht.

Berlin - Die Uefa gibt sich wirklich alle Mühe, ihre neue Europa League mit Bedeutung aufzuladen. Alles ist bestens organisiert, für die Journalisten gibt es vor dem Spiel die Aufstellungen sogar in einer deutschen und einer englischen Version, wobei sie sich vor allem dadurch unterscheiden, dass auf der englischen „Squad List“ steht und auf der deutschen „Mannschaftsaufstellung“. Aber nicht alles ist schlecht. Dass die Trainer nun nacheinander zur Pressekonferenz erscheinen und nicht mehr gemeinsam, hat Hertha BSC nach dem 1:1 gegen FK Ventspils zumindest die finale Demütigung erspart. Nunzio Zavettieri kam als erstes. Der Italiener war mal Jugendtrainer beim AC Milan, er hat den großen Fußball am Rande kennengelernt und sich eine entsprechende Attitüde erhalten. Natürlich sei er stolz auf seine Mannschaft, sagte Zavettieri, der lässig auf seinem Kaugummi kaute; ob er sich aber wirklich freuen solle, wisse er noch nicht. „Ich bin auch enttäuscht, weil wir das Spiel hätten gewinnen können.“

So weit ist es gekommen. Jetzt ärgert sich schon ein Verein aus Lettland, wenn es bei Hertha BSC nur zu einem Unentschieden reicht. Ein Verein, der in seiner Europapokalstatistik exakt drei Siege aufzuweisen hat – gegen Gegner aus Luxemburg und von den Färöern. Beinahe hätte auch Berlins erster und wichtigster Fußballklub Zutritt zu dieser zweifelhaften Gesellschaft gefunden.

Dass Hertha nicht verloren hatte, ist in der aktuellen Situation fast schon eine gute Nachricht: Nicht verloren! Nach vier Niederlagen hintereinander in der Bundesliga. „Wir müssen positiv bleiben“, sagte Herthas Trainer Lucien Favre kurz nach dem Abpfiff. Und nachdem er einmal über die Ereignisse geschlafen hatte, sah seine Welt tatsächlich schon wieder sehr viel rosiger aus. „Das Spiel war nicht so schlecht, wie viele sagen“, erklärte Favre am Tag danach.

Nicht so schlecht? Und was war mit all den läppischen Fehlpässen im Mittelfeld? Mit der Ideenlosigkeit im Aufbau? Mit den taktischen Fehlern in der Abwehr? „Momentan fehlt uns ein bisschen was“, sagte Mittelfeldspieler Maximilian Nicu. „Man spürt die Verunsicherung, sobald es nicht so läuft, wie wir uns das vorstellen.“

Wenn selbst die Spieler ihre Mängel so klar benennen konnten, bleibt die Frage, welche bewusstseinsverändernden Mittel Favre eingeschmissen hatte, dass er plötzlich Dinge sah, die andere nicht gesehen hatten? Psychologie nennt man das wohl. „Die Mannschaft braucht Vertrauen“, sagte Herthas Trainer. „Die Moral ist nicht so schlecht, wie wir denken.“

Nachdem es mit Taten nicht funktioniert hatte, versuchen sie es jetzt also mit Worten. Gegen Ventspils, die vermeintlich minderbemittelten Letten, sollte sich die Mannschaft eigentlich den Frust von der Seele spielen. Stattdessen wurde alles noch ärger. „Die Situation nach dem Spiel ist nicht leichter als vor dem Spiel“, sagte Herthas Manager Michael Preetz. Im Gegenteil. Das Selbstvertrauen sei „total am Boden“ berichtete Kapitän Arne Friedrich. „Wir müssen uns da irgendwie wieder rausziehen.“

Nur wie? Das Spiel gegen Ventspils bestärkte die Berliner in ihrer Ahnung, dass das Schicksal gerade dabei ist, sich auf Hertha einzuschießen. Nach 20 Minuten musste Torwart Jaroslav Drobny mit einer Muskelverletzung vom Feld. So wie sich der Tscheche in seinem Schmerz gebärdete, war das Schlimmste zu befürchten. „Das passt, dass das jetzt noch oben drauf kommt“, dachte Preetz. Fünf Tage zuvor hatte sich Florian Kringe bei seinem ersten Einsatz für Hertha den Mittelfuß gebrochen, Gojko Kacar, Artur Wichniarek und Patrick Ebert fehlten gegen Ventspils ebenfalls, und nach dem Spiel meldete sich auch der Torschütze Lukasz Piszczek mit Leistenbeschwerden in die Reha ab. Wer von ihnen am Sonntag gegen den SC Freiburg zur Verfügung steht, konnte Favre gestern noch nicht sagen. Drobny fehlt auf jeden Fall, auch wenn sich die Verletzung nur als Muskelfaserriss im Oberschenkel herausstellte. Zwei Wochen muss der Tscheche pausieren.

„Auch das werden wir wegstecken“, sagte Preetz. „Wir werden wiederkommen.“ Die nächste Prüfung steht am Sonntag gegen Freiburg an. Der Aufsteiger liegt einen Punkt und einen Platz vor Hertha. „Eines der wichtigsten Spiele überhaupt“ sei das, sagt Kapitän Friedrich, „natürlich geht es um Charakter.“ Und es geht auch darum, in dieser Situation einen klaren Kopf zu behalten. Den haben die Berliner derzeit offensichtlich nicht, können sie vielleicht auch gar nicht haben. Michael Preetz sagte am Freitag: „Wir werden alles versuchen, das Spiel am Sonntag zu verlieren.“ Na dann.

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