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Potsdam-Mittelmark: Wurzeln freigelegt

Neue Petzower Ortschronik gräbt nach Fakten und Anekdoten

Neue Petzower Ortschronik gräbt nach Fakten und Anekdoten Von Gerold Paul Werder · Petzow - Unerklärlich, warum seit einigen Jahren das Bedürfnis nach verlässlichen Orts-Chroniken so sprunghaft gewachsen ist. Überall regen sich Tatkraft und Mut, die Vergangenheit zu erforschen und aufzuschreiben, damit alle Nachgeborenen die „Wurzeln“ ihrer Vorfahren kennten, mithin auch, wie man so sagt, die eigenen Wege fortan. Wohlmöglich wirkt da ein Geist, in Wittbrietzen, Fichtenwalde und Wilhelmshorst nicht anders als in Petzow, wo am Mittwoch eine etwa 10-köpfige Arbeitsgruppe des Ortsbeirates nach sechsjähriger Arbeit ihren „zeitgenössischen Rückblick“ auf „Priscere – Petzow“ präsentierte – Priscere ist der 1190 auftauchende Ursprungsname des Ortes. Mit der sorgfältig gearbeiteten Broschüre wollte man, so Ortsbürgermeister und Herausgeber Bernd Hanike im „Inselparadies“, tatsächlich die „Wurzeln Petzows“ bloßlegen. Überall geht die Furcht um, mit dem Sterben der alten Generation könne wertvolles Wissen auf immer verloren gehen. Der 800 Jahre alte Ort ist ja tatsächlich reich an Geschichte und Geschichten, von denen jene mit beduselten Opa S. noch harmlos klingt, an dessen Bett daheim sein treues Pferd einst Wache hielt. Historisch war der Ort von den Kaehnes mehr oder weniger gut verwaltet worden, obgleich „Karl III.“ und „Karl IV.“ vieles verdarben, was ihre Vorfahren an Treu und Glauben aufgebaut. Mit teils neu abgedruckten Aufsätzen greift die reich bebildete A 4-Broschüre auf die Anfänge im Mittelalter zurück, wobei nach einem gut lesbaren Übersichtskapitel einzelne Zeitabschnitte besonders unter die Lupe genommen werden, die Umbruchszeit um 1989 oder die frühen Fünfziger, darin man mit Staunen liest, mit welchen Repressalien die rote Verwaltung auch Petzows Bauern in die Genossenschaften trieb, sogar mit der Drohung Sibirien. Eigenen Raum erhielt die Geschichte des Schriftstellerheimes und des Jugendtouristhotels, wo die Stasi alle Räume abhörte, Klos inklusive; hübsche Anekdoten am Schluss. Wie im Vorwort, so wies der verantwortliche Textredakteur und Germanist Klaus Deterding auch bei der Präsentation noch einmal darauf hin, dass man das Werk absichtlich in der alten deutschen Rechtschreibung gedruckt wissen wollte, um das Lesen „allein schon dadurch zu einer Wohltat“ zu machen. Auch die Illustration ist vorzüglich. Mit Blick auf die heutige Eingemeindung erfährt man, dass Petzow schon 1929 ein Ortsteil von Werder war, dass 1945 ein englischer Bomber in den Glindowsee stürzte und ein SS-Trupp noch in letzter Sekunde drei junge Soldaten erschoss, nachdem sie beim Anziehen von Zivilkleidung erwischt worden waren. Beerdigen konnte man sie nicht sofort, die Russen standen an der gerade gesprengten Baumgartenbrücke. Heute zeigt ein Kreuz auf dem Friedhof „drei unbekannte Männer“ an. Um den Alliierten das leere Schloss Cecilienhof dann für die „Siegerkonferenz“ einzurichten, holten die Russen auch Möbel aus dem Kaehneschen Gutshaus nach Potsdam. Über noch unverheilte Wunden rund um Schloss und Boden gibt das Heft so wenig Auskunft wie um die Geschehnisse eines namentlichen Mannes, der als Doppelagent von den Russen erschossen wurde, das solle die nächste Generation aufgreifen, sagte Bernd Hanike. Dafür war der heutige Standort des Vereinigten Landespolizeiorchesters zu loben. Und die wohl war nie aufzuklärende Frage neu zu ventilieren, ob nun Karl Friedrich Zelter, Begründer der Berliner Singakademie und Intimus“ Goethes, in Petzow geboren sei oder in der Hauptstadt: Sein Vater favorisierte das Dorf, meldete den Spross aber in Berlin an, damit jener dem Militärdienst entgehe. Auch eine Preisliste von 1990 ist abgedruckt, damit man erführe, was damals ein Bund Möhren kostete. Zahlen, Geschichtsdaten, Übersichten, alles gründlich sortiert und anschaulich dargestellt, geben eiligen Lesern den quicken Blick auf das Petzower Wurzelwerk. Diese Chronik hat ganz gewiss eine Zukunft. „Priscere-Petzow. Ein zeitgenössischer Rückblick“ hat 92 Seiten und ist in touristischen Einrichtungen der Region für 12 Euro zu haben.

Gerold Paul

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