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Potsdam-Mittelmark: Seemannsheim und Religionsgeschichte

Neujahrswanderung des Heimatvereins führte an die Anfänge des vorigen Jahehunderts / Kleinmachnow als Dorf und Hochschulstandort

Neujahrswanderung des Heimatvereins führte an die Anfänge des vorigen Jahehunderts / Kleinmachnow als Dorf und Hochschulstandort Von Georg Jopke Kleinmachnow. Mit dem Teltowkanal bekam die Stadt Teltow ein Schifferkinderheim. Im benachbarten Kleinmachnow, damals noch ein Gutsdorf, ging es dagegen um ganz andere Dimensionen. „Nun sind wir mit allen Weltmeeren verbunden", hieß die Botschaft und deshalb entstand dort zur Freude des auf Flottenstärke bedachten Kaisers Wilhelm II. ein Heim für Seeleute. Gutsherr von Haake stellte ein großes Gelände zur Verfügung, die Kaiserin-Auguste-Stiftung schaffte das Geld für das Bauen heran und so konnte bereits 1908 das aus mehreren Gebäuden bestehende noble Ensemble eingeweiht werden: Kasino, Wohnheime, Bürohaus, dazu ein schöner Park. Aber es kamen wenige Seefahrer, die hier ihr müdes Haupt betteten und sich von der anstrengenden Reise über die Ozeane erholen wollten. Auch weil es keinen Kaiser mehr gab, musste die ganze Anlage im Jahre 1922 verkauft werden. Vor allem mit US-amerikanischen Dollars wurde es zur Heimstatt der eigenständigen evangelisch-lutherischen Freikirche, die hier eine theologische Hochschule einrichtete. Auch das ist längst Geschichte, aber die Kirche ist weiterhin Hausherr und es gibt noch den Seemannsheimweg, an dem inzwischen ein stattliches Wohngebiet entstanden ist. Gleich neben der verbliebenen Gebäuden aus der Zeit vor fast 100 Jahren. Dort traf sich am Sonnabend der rührige Heimatverein zu seiner inzwischen traditionellen Neujahrswanderung. Diplomingenieur Ingo Saupe, 1957 von Erfurt nach Kleinmachnow gekommen, hatte die Führung übernommen und fand bei Heimatkunde-Experten wie Curt Richter und Georg Heinze sachkundige Unterstützung. Ebenso in Johannes Wilde, der auf dem Seemannsheimgelände in diesem Jahr zwei Jubiläen begehen kann. Er feiert Goldene Hochzeit und kann auf das 50-jährige Wirken als Pfarrer der Freikirchlichen Gemeinde zurückblicken. Er hat miterlebt, wie am 3. März 1944 bei einem Bombenangriff das Casino zusammenbrach, wie zu DDR-Zeiten Baumaterial geborgen und Garagen gebaut wurden und wie die Teltower Geräte- und Reglerwerke das Hauptgebäude am Zehlendorfer Damm als Ledigen-Wohnheim genutzt haben. In den zwanziger Jahren hatten hier die Gemeindevertreter getagt, später waren darin das Standesamt und die Ausgabestelle für Lebensmittelmarken untergebracht. Jetzt ist es von vier Mietparteien bewohnt. Gern öffnete Pfarrer Wilde die Türen zu dem am anderen Rand des Geländes stehenden Altbaus, in dem heute die im weiten Umland lebenden rund 50 Kirchenmitglieder ihren Gemeindesaal haben. So wurde die Neujahrswanderung zugleich ein Gespräch über die Lehrunterschiede in den Kirchen, die sich besonders deutlich bei der Haltung zum Abendmahl zeigen. Die Wanderroute sollte bis zum Machnower Busch führen. Das klappte aber nicht, denn die drei Dutzend Teilnehmer hatten unterwegs von eigenen Erlebnissen zu berichten und Erinnerungen auszutauschen. Wie am Kapuzinerweg, wo jedes Haus eine architektonische Besonderheit war. Und wo zu DDR-Zeiten bekannte Leute lebten. Thomas Billhard, Autor von Bildbänden aus aller Welt, die Schriftsteller Conrad Schmidt und Herbert Otto, zuweilen auch Erwin Strittmatter. Volkschauspieler Herbert Köfer, erster Nachrichtensprecher des DDR-Fernsehens, lebte hier, ebenso maßgebliche DEFA-Filmregisseure. Vor dem Haus von Georg Dertinger, erster DDR-Außenminister und dann verurteilter „Spion", endete der Rundgang. Im Haus des Kultur- und Kunstvereins am Zehlendorfer Damm wartete heißer Glühwein und förderte noch so manche Begebenheit aus der vielseitigen Ortsgeschichte zu Tage. Auch das heitere Nachdenken über den „Hochschulstandort Kleinmachnow": Nach der Theologischen kam nach dem zweiten Weltkrieg die Hochschule der SED auf dem Seeberg.

Georg Jopke

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