zum Hauptinhalt

Potsdam-Mittelmark: Mit Endoskop und Taschenlampe

Eine Fledermaus-Zählung in Frankfurts alter Brauerei, dem wichtigsten Winterquartier des großen Mausohrs in Deutschland

Eine Fledermaus-Zählung in Frankfurts alter Brauerei, dem wichtigsten Winterquartier des großen Mausohrs in Deutschland Von Bernd Kluge Frankfurt (Oder). In Frankfurt haben Fledermäuse eine eigene Brauerei. Dabei legen die nachtaktiven Insektenfresser gar keinen Wert auf eine Bierversorgung. Die Brauerei-Ruine am Bahnhofsberg mitten in der Frankfurter City bietet den Handflüglern vielmehr außergewöhnlich gute Schlafbedingungen: Ruhe, hohe Luftfeuchtigkeit, frostfreie Räume mit zahlreichen Nischen, Ritzen und Schlupflöchern. Zu Tausenden sammeln sich die Fledermäuse seit Jahren während der kalten Wintermonate in dem unterirdischen Labyrinth der Brauerei-Ruine. „Das Areal ist eines der bedeutendsten Winterquartiere für die vom Aussterben bedrohten Tiere“, erläutert Norbert Bartel. Der Mitarbeiter des Brandenburger Landesumweltamtes muss es wissen, betreuen er und weitere Naturschützer die Frankfurter Brauerei-Ruine mit den ungewöhnlichen Schlafgästen doch schon seit Mitte der 80er Jahre. Damals, so erinnert sich Bartel, hatten gerade einmal 150 Fledermäuse in dem verwinkelten, seit dem Kriegsende leer stehenden Bau Unterschlupf gesucht. Für die Naturschützer war es dennoch ein Zeichen dafür, dass sich die Flattertiere dort wohlfühlen. In den geheimnisvollen, weit in die Tiefe reichenden Räumen spielten jedoch immer wieder Kinder, schlugen Obdachlose ihr Lager auf, nutzen Schmuggler Nischen und Mauervorsprünge als Versteck. Bartel und seine Mitstreiter sperrten die Zugänge zur Ruine zu, umzäunten das Gelände notdürftig, um den Wintergästen, die nachweislich auch im Sommer nachts durch die alte Brauerei schwirren und dort jagen, Ruhe zu verschaffen. Mehr war den ehrenamtlichen Fledermaus-Betreuern über Jahre nicht möglich. Zwar stand der Bahnhofsberg inzwischen unter Naturschutz, doch die marode Immobilie gehörte der Ostquell Brauerei AG in Hamburg, dem Alteigentümer. „Wir bemühten uns um einen Kauf, doch der Preis überstieg unsere Möglichkeiten“, sagt Bartel, nunmehr erleichtert darüber, dass das Brauerei-„Fledermaus-Hotel“ inzwischen den Besitzer gewechselt hat: Die Stiftung Euronatur ist neuer Eigentümer. Sie will bis 2005 rund 40 Quartiere entlang der deutsch-polnischen Grenze für die Fledermäuse sichern. Die idealen Schlafbedingungen im Herzen Frankfurts zogen weitere Fledermäuse an - vor zwei Jahren überwinterten mehr als 2000 Tiere in der alten Brauerei. Anhand der Beringung konnten viele der flatterhaften Insektenfresser als Gäste aus Polen und sogar Tschechien ausgemacht werden. Um genau über die zeitweiligen Quartiergäste Bescheid zu wissen, werden die Winterschläfer alljährlich im Januar akribisch und über Stunden gezählt. Bewaffnet mit Taschenlampen, Spiegeln, Schreibblock und Endoskop - mit dem die Naturschützer „um die Ecke gucken“ können -, steigen Bartel und seine Mitstreiter hinab in das unterirdische Labyrinth. Dort hängen die kleinen Säuger in großen, braunen Trauben von den Decken oder kuscheln vereinzelt in Maueröffnungen und Nischen. Um die schlafenden Tiere möglichst wenig zu stören, geht der Zähltrupp äußerst vorsichtig vor: Nur kurz trifft der Taschenlampen-Strahl die Tiere. Mit geübtem Auge zählen die Naturschützer die Fledermäuse und tragen die Zahlen in eine Tabelle ein. Dann geht es möglichst leise weiter durch die elf Brauerei-Räume. Ergebnis der diesjährigen „Inventur“: Rund 1700 Fledermäuse von 8 verschiedenen Arten haben es sich im Frankfurter Winterquartier gemütlich gemacht. Die Fransenfledermäuse haben mit 805 Vertretern die größte Kolonie, gefolgt von 552 Großen Mausohren. Für Letztere ist die Ruine an der Oder gar der wichtigste Überwinterungsplatz in Deutschland.

Bernd Kluge

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false