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Potsdam-Mittelmark: Ludmilla Hypius bringt die Trompetentöne bei

93-jährige Musiklehrerin arbeitet an der Musikschule Beeskow und denkt noch lange nicht ans Aufhören

93-jährige Musiklehrerin arbeitet an der Musikschule Beeskow und denkt noch lange nicht ans Aufhören Von Bernd Kluge „A,b“, sagt das blonde Mädchen zaghaft und runzelt angestrengt die Stirn. „Nee, c“, korrigiert sich die 15-Jährige dann schnell. Was die Schülerin hier übt, ist nicht das Alphabet, sondern die Tonleiter. Ob nun Dur oder Moll, die Theorie muss sitzen. „Du solltest schon nachdenken“, mahnt die Lehrerin. Statt eines Protestes nickt Trompetenschülerin Anne Schöneich schuldbewusst. Ihr Gegenüber ist schließlich schon 93 Jahre alt, also eine Respektsperson, der man nicht einfach widerspricht. Doch nicht das allein zählt. Ludmilla Hypius ist auch eine sehr gute Musikerin, die ihren Schülern gekonnt die Trompetentöne beibringen kann. „In den vergangenen 15 Jahren hat sie die besten Trompetenschüler unseres Hauses ausgebildet“, sagt Jürgen Wesner, Leiter der Beeskower Musikschule. Die betagte Pädagogin entwickele ein ganz besonderes Verhältnis zu ihren Schülern, erziehe sie nicht nur musikalisch, sondern auch in Sachen Benehmen und Anstand. „Bei Frau Hypius lerne ich viel, sie hat eine unbeschreibliche Art, mich zu motivieren“, bestätigt auch die 15-jährige Anne. Als Lehrerin arbeitet die agile, kleine Frau mit dem obligatorischen Haarknoten bereits seit Anfang der 60er Jahre, zunächst in Eisenhüttenstadt, später auch in Beeskow. Inzwischen könnte sie längst den wohlverdienten Ruhestand genießen. Statt dessen fährt Frau Hypius zweimal wöchentlich mit dem Linienbus von ihrer Wohnung in Eisenhüttenstadt zum Unterricht in die Musikschule nach Beeskow. Ein beschwerlicher Weg, muss die lasterlose Vegetarierin doch zu Fuß durch die ganze Beeskower Innenstadt und das Laufen fällt ihr nach einer Hüftoperation sichtlich schwer. Leben ist, dass man mitmacht und sich nicht in einer Ecke verkriecht, lautet ihre knappe Erklärung für das außergewöhnliche Engagement. Täglich übe sie ohnehin auf ihrem Instrument um fit zu bleiben. Dass sie die Trompete wirklich beherrscht, stellt die 93-Jährige während des Unterrichts wiederholt unter Beweis. Zeitgleich mit Anne setzt sie das messingfarbene Instrument an den Mund und bläst die Akkorde mit dem Mädchen im Duett. Sauber und klar klingen die Töne bei ihr, während sie bei der Schülerin manchmal schon im Ansatz verrutschen. Hat der Schüler den intonationsreinen Vergleich, hört er seine eigenen Fehler schneller. Vor ihrer Karriere als Musiklehrerin hat Ludmilla Hypius jahrzehntelang selbst auf der Bühne gestanden. Die Trompete erlernte die Tochter einer Dresdner Kammersängerin zwar erst mit 28 Jahren, doch zumindest in Sachen Klavier und Akkordeon war sie damals schon ein alter Hase. Meine Mutter gab zu Hause Gesangsunterricht, mit Klaviermusik und Stimmübungen bin ich aufgewachsen, erinnert sich die 92-Jährige. Mit sechs Jahren setze sie sich selbst das erste Mal an den Flügel, später begleitete Ludmilla die Mutter bei Auftritten auf dem Instrument. Nach dem Schulabschluss war die begabte Musikerin mit Klavier und Akkordeon in verschiedenen Kappellen auf deutschen Bühnen zuhause bis dann schließlich eine Trompeterin gesucht wurde. „Das Ende vom Lied war mein Staatsexamen an der Dresdner Musikhochschule“, lacht die einstige Künstlerin. Mit 50 Jahren schließlich hatte Ludmilla Hypius genug von Tourneen und Hotelbetten: „Ich suchte einen dauerhaften Platz und fand ihn in Eisenhüttenstadt.“

Bernd Kluge

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