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Potsdam-Mittelmark: Folgenreiche Äußerung

Eine Lehrerin berichtete über den problematischen Konflikt mit einem Schüler – reflexartig geriet die Schule in die rechte Ecke

Teltow - Das Telefon im Sekretariat der Mühlendorf-Oberschule stand in den vergangenen Tagen nicht still. Besorgte Eltern rufen an, Kollegen aus anderen Schulen erkundigen sich. Die Schlagzeilen waren auch heftig: „Mit Hitlergruß in die Klasse“ war nach einer Veranstaltung des Netzwerkes Tolerantes Teltow zu lesen, auf der eine Lehrerin über das Auftreten eines ihrer Schüler berichtete. Der Neuntklässler habe die Lehrerin mit dem Hitlergruß provoziert.

Fortan sahen Rektor und Kollegium die Schule in die rechte Ecke gerückt. „Es wird der Eindruck vermittelt, unsere Schule sei ein Nest von Neonazis und alle schauen zu“, empört sich Klaus-Christian Voigt, Vorsitzender des Schul-Fördervereins.

Schulleiter Jürgen Voigt fällt es schwer, sich gegen die Vorverurteilungen zu wehren. Ein Radiointerview gerät zur Farce, Klischees zählen mehr als Fakten, was die betroffene Lehrerin Beate Koch klagen lässt: „Hätte ich doch bloß den Mund gehalten.“ Doch genau das soll sie nicht tun, ermuntert Dietmar Viehweger vom Netzwerk Tolerantes Teltow. Denn mit ihrer Schilderung wurde genau das Problembewusstsein geschaffen, das es für eine gesellschaftliche Auseinandersetzung braucht. Von diesem lässt sich auch Beate Koch leiten: „Es geht darum, dass auch ein einzelner Schüler, der noch auf der Suche ist, nicht allein gelassen werden darf. Das ist zwar ein Kraftakt, aber ich bin Pädagogin und nicht nur Stundengeberin.“

Bei ihren Engagement könne sie sich auf die Hilfe des Schulleiters stützen: er habe Mittel bewilligt, damit Klassen in die KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen fahren konnten. Zum Geschichtsunterricht gehörte auch eine Fahrt dreier Schüler zum Straßburger Europaparlament. Zuvor konnte durchgesetzt werden, dass auch ein ausländischer Mitschüler daran teilnehmen konnte, obwohl sein Aufenthaltsstatus der Residenzpflicht unterlag. Ebenso würden Briefe und Originaltexte aus der NS-Zeit im Unterricht diskutiert, Klischees und Mythen des Nationalsozialismus hinterfragt. Manchmal würden aber auch Schüler Material mitbringen und damit Themen anstoßen.

Daher „steht außer Frage, dass es unserem Schulleiter in der Auseinandersetzung mit den Anschuldigungen allein um die Existenz der Schule ging“, so die Lehrerschaft in einer gestrigen Presseerklärung. „Hier geht es um die Existenz einer toleranten, bunt gemischten Schülerschaft, die sich unverschuldet einem rechtsextremen Ruf zu stellen hat.“ Prompter Beleg für diese Sorge: Ein Hitler-Bild, das in diesen Tagen im Schulbriefkasten lag.

„Die nächsten Wochen werden für uns ein Härtetest", meint Schulleiter Voigt. Demnächst müssen künftige Siebtklässler auf weiterführenden Schulen angemeldet werden. Dann werde sich zeigen, ob auch gute Argumente etwas zählen, so Voigt. Eines dieser Argumente ist das Pilotprojekt „2. Chance“, das seit anderthalb Jahren erfolgreich läuft und Schülern bei Lernschwierigkeiten hilft. Partner des Projektes sind das Deutsche Kinder- und Jugendhilfswerk, JOB e. V., das Jugendamt und die Maxim-Gorki-Gesamtschule Kleinmachnow. Das Schulamt bewilligte dafür ein zusätzliches Stundenbudget.

Schon in den vergangenen Jahren wurden Schüler individuell unterstützt, vor allem Schüler ausländischer Herkunft profitierten davon. Eine von ihnen ist eine junge Vietnamesin, die ohne Deutschkenntnisse in die 7. Klasse kam, später Jahrgangsbeste wurde und heute das Weinberg-Gymnasium besucht. „Manchmal kommen Schüler zu uns, die kein Wort Deutsch sprechen und durch Zusatzunterricht eine Chance erhalten“, berichtet Voigt.

Gegenwärtig lernen 15 Schüler mit Migrationshintergrund an der Mühlendorf-Oberschule. „Ich wurde auf dieser Schule noch nie meiner Abstammung wegen beschimpft oder gar bedroht“, berichtet eine von ihnen. „Hier ist jeder Schüler willkommen, egal welcher Herkunft. Rechtsradikalismus wird in unserer Schule nicht toleriert“, sagt eine Schülersprecherin. K. Graulich / P. Könnicke

K. Graulich, P. Könnicke

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