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Potsdam-Mittelmark: „Die Deutschen sind nicht gottloser als andere“

Morgen wird die 42-jährige Dorothea Sitzler-Osing neue Pfarrerin in der Teltower Sankt-Andreaskirche

Erste Eindrücke sind oft entscheidend. Welchen Eindruck hatten Sie bei ihrem ersten Besuch von der Andreaskirche, dem ältesten Bauwerk der Stadt?

Ich mag alte Kirchen lieber als moderne, weil in deren Mauern noch etwas von ihrer wechselvollen Vergangenheit verborgen ist. Diese Tradition der Vorväter spürte ich auch als ich die Andreaskirche erstmals betrat. Der Innenraum ist sehr schön für Gottesdienste geeignet. Gleichzeitig fiel mir auf, dass der Altarraum besonders vom Kruzifix dominiert wird und die Wände ringsum leer sind. Vergleiche ich den Innenraum beispielsweise mit einem Wohnzimmer, würde ich spontan sagen: Irgendwie fehlen noch ein paar Möbel.

Sie werden ab morgen das neue Gesicht in der Teltower Kirchengemeinde sein. Wie kam es zum Entschluss als Pastorin aus dem Rheinland in den Pfarrdienst der Kirchengemeinde Teltow zu wechseln?

Der Grund ist die Familie, die 1997 von Bonn nach Berlin zog. Mein Mann hat einen Lehrstuhl für Ägyptologie an der Freien Universität. Nach der Geburt des dritten Kindes suchten wir dann 2001 im südlichen Berliner Umland ein Haus und in Kleinmachnow gefiel uns eines auf Anhieb. Nach dem Ende meines Erziehungsurlaubs gab es natürlich auch Überlegungen wieder ins Rheinland zurück zu kehren, wo ich als Pfarrerin in Swisttal bei Bonn arbeitete. Aber dazu hätte ich die Familie verpflanzen müssen. Nach Gesprächen mit der Rheinischen Kirche, entschloss ich mich den Pfarrdienst in der Berlin-Brandenburgischen Kirche im ehrenamtlichen Entsendungsdienst fortzusetzen.

Welche Schwerpunkte setzen Sie für Ihre künftige Arbeit in der Teltower Kirchengemeinde?

Das wird die Familienarbeit sein. Ab September möchte ich jeweils donnerstags von 9.30 bis 11.30 Uhr eine Mutter-Kind-Gruppe anbieten. Daneben gibt es aber noch die laufenden Arbeiten. Immerhin gibt es in der Stadt rund 4000 Gemeindemitglieder und diese Zahl macht deutlich, dass einer allein das nicht mehr schaffen kann. Vor allem auf Taufen und Beerdigungen trifft das zu.

Gegenwärtig machen Pfarrer gerade bei Taufgottesdiensten Erfahrungen, die Experten als religiösen Analphabetismus bezeichnen. So ist manchen Familien eines Täuflings anzumerken, dass ihnen Kirchliches fremd ist. Haben Sie ähnliche Erfahrungen?

Das ist eine bundesweite Tendenz, die vielerorts vor allem in der zweiten Generation verfestigt ist. Nichts kann mehr als bekannt vorausgesetzt werden, nicht einmal das Vaterunser, weshalb es oftmals auf einem Liedblatt abgedruckt wird. Auch die Unkenntnis über die Bedeutung christlicher Feiertage ist weit verbreitet. Ein schleichender Prozess ist das, der sich auch bemerkbar macht, wenn am Sonntagmorgen meist Ältere in der Kirchenbank sitzen, weil Jüngere lieber ausschlafen wollen.

Sind die Deutschen demnach ein gottloses Volk?

Deutsche sind nicht gottloser als andere Mitteleuropäer. Auch im katholischen Italien leben die meisten ohne Kirche und in den Niederlanden haben es Kirchen, im Vergleich zu Deutschland, noch schwerer ihre Gotteshäuser zu füllen. Von einem Niedergang des christlichen Glaubens kann man aber nicht sprechen, vielmehr gibt es ansteigende Tendenzen zu einer neuen Religiosität.

Was folgt daraus für die Kirchen?

Was Kirche ausmacht ist Gemeinschaft, in der auch über das Weltgeschehen reflektiert wird und das ist vielen als Orientierung wichtig. Auch ein Stück praktische Lebenshilfe kann Kirche vermitteln. Das kann für junge Mütter eine Krabbelgruppe in einem Mutter-Kind-Kreis sein, um so das Miteinander in der Gemeinde erfahren zu können.

Welche Rolle spielt beim Gottesdienst die Predigt?

Als Christen leben wir aus dem Wort Gottes, weshalb es wichtig ist, den Bibeltext offen zu legen. Um dem näher zu kommen, was daraus für uns Heutige wichtig ist, lese ich zusätzlich den griechischen und hebräischen Text. Für mich ist eine Predigt in erster Linie ein kreativer Akt, bei dem ich auf Gekünsteltes verzichte. Meine Predigten werden also keine durchgestylten Reden sein, sondern ich hoffe, dabei Denkanstöße vermitteln zu können.

Was war wichtig für Ihre religiöse Prägung?

Mein Großvater war evangelischer Pfarrer in einer Gemeinde im Odenwald. Kennengelernt habe ich ihn leider nicht, da er als Soldat auf der Krim gefallen ist. Was ich von ihm weiß, erzählte mir meine Großmutter und einiges erfuhr ich aus Briefen. Die Möglichkeit als Feldprediger im hinteren Frontbereich bleiben zu können, schlug er aus und zog stattdessen als einfacher Soldat an die Ostfront. Weil dort in den Dörfern oft keine Priester mehr waren, taufte er heimlich viele Kinder, deren Eltern der Orthodoxen Kirche angehörten. An diesem Großvater bewundere ich die konsequente Haltung, weshalb er für mich glaubwürdig ist.

Bei Ihrem jüngsten Antrittsbesuch lernten Sie auch Vertreter des Teltower Stadtparlamentes kennen. Wie wichtig ist Ihnen die Zusammenarbeit mit Parteien?

Ich schaue auf der kommunalen Ebene nicht so sehr auf Parteienmitgliedschaft. Wichtig ist, wofür sich jemand engagiert und ob er ein gutes Vorhaben unterstützt. Oberstes Gebot ist dabei Fairness. Außerdem sehe ich meine Aufgabe eher darin, Mut zu machen statt zu sagen, was alles falsch gemacht wurde.

Das Interview führte Kirsten Graulich.

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