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Potsdam-Mittelmark: Auf halbem Weg

Beim SPD-Gespräch über 15 Jahre Mauerfall wurden Fehler benannt und neue Wege gesucht

Beim SPD-Gespräch über 15 Jahre Mauerfall wurden Fehler benannt und neue Wege gesucht Kleinmachnow - Wenn Wissenschaftler ihre Labore verlassen und in die Welt hinausgehen, entdecken sie oft erstaunliche Dinge. So zumindest das Klischee. In den vergangenen Tagen ist Kleinmachnow oft als „Laboratorium der Einheit“ aufgefasst worden, weil die Ost-Gemeinde 15 Jahren nach dem Mauerfall zur Hälfte aus ehemaligen Bundesrepublikanern besteht. Nun machte sich am Montagabend von hier eine Runde auf, die Lupe herumzudrehen, wie es SPD-Ortschef Frank Nägele formulierte, und von Kleinmachnow eine Analyse Gesamtdeutschlands zu wagen. Die Ausgangsposition war gut, wenn man Martina Weyrauch, Chefin der Landeszentrale für politische Bildung, glauben durfte: In Berlin und Brandenburg hätten die Menschen sich sehr intensiv mit der Vereinigung Deutschlands auseinander gesetzt. Wenn sie in den Westen komme, stelle sie fest: „Die Leute fühlen sich als Zuschauer.“ Stephan Hilsberg, Bundestagsabgeordneter der SPD, klang da weniger optimistisch. Es sei nicht gelungen, genügend Leute im Osten für die Demokratie zu begeistern. Als Beweis führte er die Zahl der SPD-Mitglieder in Brandenburg an: gerade mal 7000. Hilsberg hat 1989 in Schwante die SDP mitbegründet. Nach der Wende hat er erlebt, wie den Wende-Protagonisten die Zügel aus der Hand genommen wurden. Freundlich sei man aufgenommen worden im Bundestag. Aber dass dort der Mauerfall als ein Wunder bezeichnet wurde, das fand er entmündigend. Dann wurden Straßen umbenannt, bekannte Waren verschwanden aus den Regalen, die DDR-Bürger fanden im Bus den Halteknopf nicht mehr. Martina Weyrauch hat diese Veränderungen erlebt und glaubt, dass sie viele enorm verunsichert haben. PNN-Redakteur Peter Könnicke moderierte den Abend im Sportforum und las eine Kolumne vor, in der er über seinen 9. November sinnierte, den er als Läufer in einem Leistungssportzentrum verbrachte. Er weinte seinem ersten Paar Adidas-Schuhe nach, das ihm gerade gestohlen worden war. Den heutigen SPD-Landtagsfraktionssprecher Florian Engels, Bayer und seit 1990 in Brandenburg, überraschte an der Geschichte, dass es in der DDR Anlagen gab, in denen sich die Höhenluft von Mexiko-City simulieren ließ: „Ich dachte, so was hätte es nur im Westen gegeben“, so sein selbstkritisches Eingeständnis. Es blieb nicht das einzige Missverständnis des Abends. Engels wehrte sich gegen den Gemeinplatz der Nordrheinwestfalen, die mit ihren ganzen Gesetzen in die neuen Bundesländer gekommen seien. Die Macht der Beamten sei gar nicht so groß. „Solche Bilder sind gefährlich, sie verstärken das Mauerdenken nur.“ Er selber war in den 80ern drei Monate im Stasi-Gefängnis, weil er auf einer DDR-Reise zu viel fotografiert hatte. 1990 kam er zurück und wurde Pressesprecher von Bündnis 90 in der ersten frei gewählten Volkskammer. Immer Ost gegen West, einem Zuhörer war das zu einseitig. Die Unterschiede zwischen München und Flensburg seien auch beträchtlich. Nach Ansicht von Martina Weyrauch ist dagegen die Ost-Identität der Menschen unterschätzt worden. Sie selber hat sich in den letzten Jahren mit der Frage beschäftigt, wie eine Brandenburger – und letztlich eine deutsche – Identität aussehen könnte: „Es hat Sachsenhausen gegeben, aber auch den Pfarrer Braune aus Lobetal, der viele behinderte Menschen vor der Euthanasie bewahrt hat.“ Statt Ostalgie-Shows zu gucken sollte man sich besser mit den eigenen Wurzeln befassen. Sie erzählte von ihren Urgroßeltern, deren Grab sie zusammen mit ihrer Oma erst in diesem Jahr entdeckt hat. Sie kann es jeden Tag sehen – es liegt gegenüber von ihrem Büro. Am Ende zogen die Diskutanten – nach manch kritischer Analyse – jeder für sich doch eine positive Bilanz der vergangenen 15 Jahre. Gastgeber Frank Nägele lenkte den Blick schließlich noch einmal auf den eigenen Ort und die Zwietracht, die manche hier sehen: „Beim Freibad kämpfen nicht die Erbauer gegen die Modernisierer.“ Da hätten sich Bürger zusammengefunden, die das Bad gemeinsam bewahren wollen. Volker Eckert

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