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Inniges Spiel. Die gefeierte armenische Pianistin Nareh Arghamanyan. 

© Julia Wesely

Kultur: Zwischen Gischt und Gassenhauer

Das 5. Sinfoniekonzert des Brandenburgischen Staatsorchesters Frankfurt im Nikolaisaal

„Ein gesundes Neues – wir haben uns noch nicht gesehen“, begrüßt Howard Griffiths das Publikum im Nikolaisaal. Spontanes Gelächter. „in diesem Jahr!“ Auch wegen solch flotter Anmoderation lieben ihn die Potsdamer Musikfreunde, denen er am Samstag beim 5. Sinfoniekonzert des Brandenburgischen Staatsorchesters Frankfurt ein von Seelenstürmen und Schicksalsdramen bestimmtes Programm bietet. Übrigens, so lässt er uns wissen, habe auch er eine enge Beziehung zum Meer – genauso wie Benjamin Britten. „Und so werden Sie gleichsam von Salzwasser und Gischt umspritzt, erleben Sie Möwengeschrei und tiefhängende Wolkenakkorde. Viel Spaß beim Hören der vier ‚Sea-Interludes‘ aus Brittens Oper ‚Peter Grimes‘!“

Eine aparte Reverenz an den diesjährigen 100. Geburtstag des Komponisten. Unter Howard Griffiths anspornender Zeichengebung entstehen assoziationsreiche, stimmungsdicht gemalte Klangfresken. Wie bleiern bricht die „Dämmerung“ auf, während ein zunächst besinnlicher „Sonntagmorgen“ allmählich in quirliges Treiben von Dorfbewohnern mündet. Ziemlich grell tönt es auf, bedingt durch bewusst spröde klingende Geigen in hohen Lagen, Flöteneinsätze und wenig Vibratogebrauch. Bedrohlich, in lastender Stille bescheint „Mondlicht“ die Szene, wobei Harfenakkorde gleich Nordlichtstrahlen durch graues Gewölk schießen. Gleisnerische Klangfülle erinnert dabei an fernöstliche „Turandot“-Welten. Orkanwütig fegt „Sturm“ über die Hörlandschaft hinweg, aufmerksam verfolgt von den in Bann gezogenen Besuchern.

Nicht weniger achtsam verfolgen sie die kurze Pause mit der Positionierung des Steinway-Flügels, an dem die 24-jährige armenische Pianistin Nareh Arghamanyan, gefördert durch die Züricher Orpheum-Stiftung, in Sergej Prokofjews viersätzigem 2. Klavierkonzert g-Moll op. 16 brillieren will. „Spielt die im Stehen?“, raunen Beobachter, da im Eifer des Umbaugefechts der Klavierhocker vergessen worden ist. Ein Geiger holt schließlich das unabdingbare Sitzrequisit herbei.

Nun kann sich die Pianistin als virtuos-expressive Sachwalterin dessen, was der „Junge Wilde“ anno 1913 zu Notenpapier und skandalträchtiger Uraufführung brachte, erweisen. Harmlos fängt es mit einem eingängigen Thema an, das die Solistin leicht, mit klarem Anschlag, federnder Attacke und gestochen klaren Akkordgriffen zum Klingen bringt. Allmählich nehmen die technischen Ansprüche zu, Lautstärke und gestalterische Intensität ebenso. Dann bestimmen harte und schneidende Klänge, hämmernde, motorische Rhythmik die Szene. Die armenische Pianistin verfügt über eine staunenswerte Technik, weiß um die Wirkung abrupter Stimmungswechsel zwischen akrobatischen Tastentollereien und lyrischen Betrachtungen. Unglaublich. Sie wird gefeiert, bedankt sich mit einer innig gespielten Paraphrase von Giovanni Sgambati über Glucksche Opernmelodien.

Wie Tschaikowskys Sinfonie Nr. 6 „Pathétique“ steht auch die Sechste von Dmitri Schostakowitsch in der Schicksalstonart h-Moll, die mit einem breit angelegten, konfliktgeladenen Largo-Satz anhebt. Er kündet von Leid und Trauer. Die kurvenreichen Gefühlsausbrüche werden spannungsvibrierend gespielt, während das nachfolgende Allegro sich als kontrastreiches Scherzo zwischen Ruhe und Hektik, Laut und Leise entpuppt. Im finalen Presto, einem gassenhauerischen Groteskgalopp mit bombastisch-banalem Ausklang, können sich die Musiker so richtig austoben. Der Beifall gerät entsprechend. Peter Buske

Peter Buske

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