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Kultur: Wenn der Traum zum eigentlichen Leben wird

Grit Poppe stellte ihr neues Romanmanuskript „Weg in die Wüste“ im Literaturladen Wist vor

Grit Poppe stellte ihr neues Romanmanuskript „Weg in die Wüste“ im Literaturladen Wist vor Die Wüste ist ihr Traum. Ein Ort, den Annelie aufsucht, wenn das wirkliche Leben sich wie ein Schlinge immer enger um ihren Hals legt. Warum die Wüste sie so fasziniert, weiß sie selbst nicht. Vielleicht ist es das Unbekannte, die Weite, die scheinbar endlose Gleichförmigkeit in die sie sich zurückziehen möchte. Ein Gegenentwurf zur Enge ihres Alltags, in den sich ihre Fantasie flüchtet. Für ihren Mann Jonathan ist die Wüste dagegen nur ein Nichts. Dort gibt es nichts zu sehen, also hat er dort auch nichts zu suchen. „Weg in die Wüste“, hat Grit Poppe ihr aktuelles Romanmanuskript überschrieben, aus dem sie am Dienstag im „Wist. Der Literaturladen" vor einer Hand voll Zuhörer Auszüge las. Auf über 300 Seiten umkreist sie Annelie und Jonathan, die in einer durchschnittlichen, namenlosen Kleinstadt eine durchschnittliche, also katastrophale Ehe führen. Annelie ist Hausfrau und kümmert sich um die beiden Kinder Alex und Nina. Regelmäßig putzt sie bei einem Professor die Wohnung. Jonathan, der sich als Sportjournalist auf Sportverletzungen spezialisiert hat, wissend, dass der Leser oft mehr an den Leiden als an den Erfolgen von Sportlern interessiert ist, verdient das Geld in der Familie. Eine klassische Rollenverteilung, die genug klassisches Konfliktpotenzial liefert. Die Handlung setzt in der Adventszeit des Jahres 2000 ein. Dabei erzählt Grit Poppe die Geschichte im Wechsel, mal aus der Perspektive von Annelie, dann aus der Jonathans. Und schnell wird klar: Wenn es zwischen den beiden je Liebe gab, dann ist das lange, lange her. Ihre Ehe wird nur noch notdürftig von den Ritualen des Alltags zusammengehalten und dem Glauben, dass der jeweils andere ohne seinen Partner hoffnungslos verloren wäre. Beide scheinen dabei mehr in ihren Träumen zu leben. Annelie in der Wüste, Jonathan bei einer jüngeren Frau, namens Edith. Mit bedächtigem, fast schon trägen Ton beschreibt Grit Poppe einen Samstagabend vor dem Fernseher. Mit teurem Whiskey, einem neuen Parfum und einer neuen Uhr versucht Annelie die Aufmerksamkeit von Jonathan auf sich zu ziehen. Alles Dinge, die sie aus der Wohnung des Professors gestohlen hat. Doch Jonathan bemerkt nichts. Sie reden miteinander, doch sie reden aneinander vorbei. Sie sitzen in diesem Zimmer dicht nebeneinander und sind dabei so weit voneinander entfernt. Mit ihrer unaufgeregten, manchmal bewusst zähflüssigen Erzählweise betont Grit Poppe das Auf der Stelle treten von Annelie und Jonathan. Eine Lethargie, die dem Zuhörer nicht selten unerträglich erscheint. Ab und an bricht dann Unerhofftes in diese gelebte Belanglosigkeit, wenn ein verletzter Fußballstürmer, wütend über ein Interview, den leicht angetrunkenen Jonathan zur Rede stellt oder Annelie einen Banküberfall wagt. Doch während bei Jonathan mehr das Groteske in diesen Situationen überwiegt, scheint bei Annelie die wunderbare Situationskomik mehr von der Verzweiflung überschattet, von der sie erst zu ihrer Tat getrieben wurde. Irgendwann stürzt dieses brüchige Ehegebäude lautstark in sich zusammen. Annelie wird die Wüste sehen, genau wie Jonathan. Beiden jagen ihren Träumen nach. Doch was sie finden werden, wird nicht ihren Erwartungen entsprechen. Zwei Jahre hat Grit Poppe an „Weg in die Wüste“ gearbeitet. 1964 in Boltenhagen geboren und in Potsdam sesshaft geworden, hat sie vor sechs Jahren ihr vielbeachtetes Debüt „Andere Umstände“ veröffentlicht. Danach erschien das Kinderbuch „Alabusch“ und ein Band mit Erzählungen. Doch ob ihr neuer Roman erscheinen wird, konnte Grit Poppe im anschließenden Gespräch nicht sagen. Seit einem halben Jahr liegt das Manuskript bei verschiedenen Verlagen. Antwort hat sie noch keine bekommen. Die Situation für deutsche Autoren sei zur Zeit nicht gerade einfach. Die meisten Verlage konzentrieren sich, einem Trend folgend, verstärkt auf ausländische Autoren. Ein Trend dem, so bleibt zu hoffen, die Geschichte von Annelie und Jonathan nicht zum Opfer fallen sollte. Dirk Becker Die nächste Veranstaltung bei Wist am 23. 1., 20 Uhr: Katja Oskamp, liest aus ihrem Roman „Halbschwimmer“ (Amman Verlag).

Dirk Becker

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