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Kultur: Weder mit Gefühl noch mit Glanz Der zweite Teil von Bachs „Weihnachtsoratorium“

Nanu, is denn noch immer Weihnachten? In diesen frühlingshaften Tagen daran zu glauben, fällt schwer.

Nanu, is denn noch immer Weihnachten? In diesen frühlingshaften Tagen daran zu glauben, fällt schwer. Und dann noch Bachs sechsteilige Kantatensammlung des „Weihnachtsoratoriums“ als klangfestliche Garnierung?! Zur Erinnerung: die ersten drei Kantaten wurden einst an den damaligen drei Weihnachtsfeiertagen aufgeführt, die restlichen an Neujahr, am ersten Sonntag nach Neujahr und an Epiphanias. Eine konzertante Aufführung in diesen Tagen ist liturgisch also passend. Das sagte sich auch KMD Matthias Jacob, als er die Kantaten IV bis VI am Sonnabend in der überfüllten Friedenskirche erklingen ließ. Auch in ihnen hat Bach nicht an lyrischen Erwägungen gespart. Von der Beschneidung des acht Tage alten Jesuskindes bis zum Erscheinen der heiligen drei Könige spannt sich der Bogen des biblischen Berichts. Er wendet sich, anders als in den Kantaten I bis III, mehr pastoralen Empfindungen denn des fröhlichen Frohlockens zu, was von allen Beteiligten ein hohes Maß an gestalterischer Intensität abverlangt, soll das Musizierte und Gesungene nicht in gepflegter Langeweile enden. Davon ist die Aufführung leider nicht ganz frei. Sie beginnt unterkühlt und uninspiriert, strahlt keine Atmosphäre aus, wirkt langweilig und lustlos. Die „Reportage“ spannungsvoll auszubreiten, scheint nicht Absicht der Jacobschen Ausdeutung zu sein. Erst allmählich beginnt das Eis zu schmelzen, breitet sich inneres Beteiligtsein, dann sogar Leidenschaft aus. Der Oratorienchor Potsdam bewältigt seinen Part anfangs nur solide. Liegt es daran, dass ihm im Eingangschor zur vierten Kantate die Hörner mit unsäglich „schräg“ intonierten Tönen assistieren? Wo soll da Ausdruckskraft herkommen, wenn es ums pure Durchkommen geht?! Auch dem routiniert notenspielenden Neuen Kammerorchester Potsdam mangelt es anfänglich am überzeugenden Funken. Er zündet erst später. Von der Hinwendung zu einer historisierenden Spielweise bleiben sie auch dann meilenweit entfernt. Matthias Jacob lässt kurz phrasieren, straff artikulieren, präzise in Einsätzen und Details musizieren. Trotz alledem fehlt es ein wenig an Gefühl im Revier – frei nach Goethe. Das nimmt in der Kantate V festliche Züge an. Für''s strahlende Entree und Finale sorgt in Kantate VI schließlich dreifaches Trompetengeschmetter. Allerdings bleibt orchestraler wie vokaler Glanz bis zum Schluss Mangelware. Auch bei den Solisten. Einige von ihnen wissen mit anderen Meriten zu überzeugen. Wie Albrecht Sack (Tenor/Dresden), dessen offene und hell getönte, höhen- und koloraturensichere Stimme den Rezitativen ein redegewandter Anwalt ist. In den Arien bleibt er einem jedoch die textverständliche Beweisführung schuldig. Angenehm klingt das bassbaritonale Timbre von Kai-Uwe Fahnert (Potsdam), der mit kräftigem Einsatz seinen Part absolviert. Mit innerer Anteilnahme und klar konturierter Diktion wird auch seine „finstre Sinnen durch der Strahlen klaren Schein erleucht“, wie es in einer seiner Arie tönt. Einen klassischen Blackout durchleidet dagegen Barbara Bornemann (Alt/Berlin) in einer ihrer dramatisch ausgedeuteten Arien. Ansonsten besticht sie durch durchweg packende Gestaltung. Ihre „Schweigt“-Einwürfe im Terzett der fünften Kantate haben beachtlichtes Gewicht. Weniger beachtlich dagegen die Bemühungen von Andrea Chudak (Sopran/Karlsruhe), die klar und hart, höhensicher und unbeteiligt singt. Mit mathematischer Folgerichtigkeit entströmt ihrer Kehle Note für Note. Ausstrahlungslos singt sie vom Blatt. Ob das im Sinne von Bach ist?! Zum Schluss prasselt der Beifall anhaltend. Peter Buske

Peter Buske

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