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Kultur: Von den Rändern

Terézia Mora las aus ihrem Debütroman „Alle Tage“ im Waschhaus

Terézia Mora las aus ihrem Debütroman „Alle Tage“ im Waschhaus Dieser Abel macht hilflos. Ein Unbestimmter im 33. Lebensjahr, staatenlos verloren in der Stadt B., zehn Sprachen beherrschend, im Leben aber sprachlos. Sehr groß und dünn, mit langem Gesicht, die linke Augenbraue hängend, die rechte hochgezogen, ist diese Asymmetrie vielleicht das Auffälligste an diesem Unauffälligen. Wir würden ihn vielleicht gar nicht wahrnehmen, diesen Abel Nema, der an einem Samstagmorgen kopfüber von einem Klettergerüst hängt, mit gefesselten Füßen, furchtbar verprügelt, wenn nicht Terézia Mora in ihrem Debütroman „Alle Tage“ von ihm erzählen würde. Doch erzählen ist vielleicht nicht das richtige Wort, wie die Gäste am Mittwochabend im Waschhaus, wo Terézia Mora aus ihrem Roman vorstellte, schnell bemerkten. Wie ihr Abel Nema ist Terézia Mora 33 Jahre alt. In Ungarn geboren, lebt sie, wie er, zwischen den Sprachen. In der Schule Ungarisch, in der Familie ein „burgenländischer Dialekt“, erlernte sie das Hochdeutsche am Fernseher durch Sendungen des Österreichischen Rundfunks. Doch während Abel orientierungslos durch sein Leben irrt, hat Terézia Mora ihre sprachliche Heimat im Deutschen gefunden. Seit 1990 lebt sie in Berlin, veröffentlichte vor sechs Jahren den Erzählband „Seltsame Materie“. Sie hat Zeit gebraucht, sich diese Sprache passend zu machen, hat mit ihre gerungen, als sie anderthalb Jahre an der Übersetzung der „Harmonia caelestis“, ihres Landsmannes Péter Esterházy arbeitete. Eine Arbeit, die nicht ohne Wirkung auf ihren eigenen Roman blieb. Sie ließ sich Zeit. Vier Jahre, in denen sie das Drängen der Verleger überhörte und sich so, glücklicherweise, als Sturkopf erwies. Und so ist „Alle Tage“ ein Roman geworden, den Sigrid Löffler, Literaturkritikerin und Herausgeberin der renommierten Zeitschrift „Literaturen“, an diesem Abend als die „bedeutendste Neuerscheinung des Jahres 2004“ bezeichnete. Terézia Mora ist eine Sprachkünstlerin der es gelingt, schon mit dem ersten Satz einen Ton anzuschlagen, der Neugierde weckt und Neues verspricht. Und Térézia Mora hält diesen Ton über die ganzen 430 Seiten, variiert ihn gelegentlich und lässt dabei oft genug vergessen, wie ungreifbar Abel Nema, der das Niemand im Namen trägt, doch fast die ganze Zeit bleibt. Sie erzählt von den Menschen, die Abels ziellosen Weg kreuzen, von dem Freund Ilia, dem er seine Liebe gestand und schorf zurück gewiesen wird, dem altkluge Omar und Mercedes, die ihn heiratet, damit er in B. bleiben kann. Bis zu dem Punkt, als Abel, Höhepunkt der biblischen Anspielungen in diesem Roman, als geprügelter Gekreuzigter am Klettergerüst hängt. Als Literatur von den Rändern bezeichnete Sigrid Löffler die Arbeiten von Terézia Mora. Keine deutsche, sondern deutschsprachige Literatur, die hierzulande immer wieder zu dem Besten gehört, was in dieser Sprache zu Papier gebracht wird. Mit Sigrid Löffler und Terézia Mora trafen dann an diesem Abend Gesprächskünstlerin auf Sprachkünstlerin. Und war schon die Lesung im gut gekühlten Waschhaus ein Erlebnis, so wurde es das Gespräch erst recht. Ob die Geschichte von der Deutschlehrerin, die Terézia Mora statt mit Deklinationen und Konjugationen zu traktieren, Klaus Manns „Vulkan“, eine folgenrichtige Entscheidung, in die Hände drückte, oder die ersten Schritte auf dem Feld der Prosa, das Ringen mit der Sprache, mit der Form, die beiden Frauen verstanden sich prächtig. Und der Zuhörer genoss diese Gesprächsspiel. Hilflos zurück blieb nur Abel. Dirk Becker

Dirk Becker

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