zum Hauptinhalt

Kultur: Vielerorts eigene Pflöcke eingeschlagen

Auch ohne Kulturhauptstadt-Titel kein verlorenes Jahr: Der Besucher hatte oft die Qual der Wahl

Man könnte sagen, Potsdams Kultur hat gefloppt. Sie hat es nicht geschafft, Europas Schöngeister für sich zu gewinnen. Man könnte aber auch sagen: Das Zeug dazu hat sie! Mit versierteren Persönlichkeiten an den Hebeln der Macht und etwas mehr Einfühlungsvermögen wäre der Coup vielleicht gelungen. Es sollte nicht sein – aber das ist kein Grund zu jammern. Potsdams Kulturleben kann sich dennoch sehen lassen, und Europa und die Welt treffen sich auch ohne das Markenzeichen Kulturhauptstadt zwischen den königlichen Gefilden Sanssoucis und dem urbanen Aufbruchgeist der Schiffbauergasse. Auch wenn die strategischen Impulse der Stadtregierung oftmals fehlen, wissen Potsdams Kulturanbieter doch eigene Pflöcke einzuschlagen.

Beim Blättern durch die stattliche Sammlung der PNN-Kulturseiten anno 2005 ist dieser Reichtum ablesbar. Da gibt es feste Säulen, die dem Jahr Dauer-Glanz verleihen: ob Tanztage, Unidram, Kinder-Kultur-Tage, Völkerbälle, Musikfestspiele, Jazzfest, Theaterfest, Vocalise, Afrikafest, Bachtage, Im Garten vorgelesen, Kabarettwoche, Sehsüchte – sie alle sind Ausrufezeichen im Jahreskulturkalender. Und auch zwischen diesen Fixsternen hatte man sein Tun, um nichts Wichtiges zu verpassen. In diesem Jahr vor allem die auf 1000 Jahre Christentum ausgerichtete Kulturland Brandenburg-Offensive, die aus dem Mauerblümchen-Dasein herausgekommenen Ausstellungen des Potsdam-Museums, die frisch und querdenkend auftrumpfenden Angebote vom Offenen Kunstverein und der Kunstschule, die liebevoll mit Potsdamer Charme ausgerichteten Filmpremieren im Thalia oder die Diskussionen im Filmmuseum. Und immer wieder Lesungen, die ebenso wie die Theater das Kulturherz auf Trab halten: Nicht nur das HOT powert, nein auch T-Werk, Stadt-Spiel-Truppe und Poetenpack bringen sich ins Gespräch. Nur das Jüngste schaffte es nicht, obwohl es so wacker kämpfte: das Comédie Soleil. Die gestrige Nachricht von seiner Schließung trübte neben Negativschlagzeilen um den Lindenpark und die wieder aufbrodelnde Orchesterdebatte das ansonsten erfreuliche Kulturjahr 2005, das mit der Eröffnung des studentischen Kulturzentrums in den Elflein-Höfen auf einen weiteren zugkräftigen, innerstädtischen Gegenpol zur Schiffbauergasse hoffen lässt.

Betrachtungen von PNN-Rezensenten sollen in zwei Teilen noch einmal das Erlebte aufflammen lassen.Heidi Jäger

Theater unterwegs

Obwohl das Hans Otto Theater ständig unterwegs ist, scheint es im zweiten Jahr seines Intermezzos vor der Eröffnung des Theaterneubaus bereits angekommen zu sein. Auch ohne festes Haus hat es sich ins Bewusstsein des Publikums gespielt. Gern folgten die Zuschauer dem mobilen Musentempel, der vielerorts seine Duftmarke setzte. Ganz nach oben in die „Charts“ der beliebtesten Inszenierungen spielte sich „Frau Jenny Treibel“ im Palais Lichtenau, die sowohl mit Katharina Thalbach als auch alternierend mit Rita Feldmeier in der Titelrolle eine beherzte, kultivierte und sehr unterhaltsame Auseinandersetzung um gekappte Sehnsüchte und Standesdünkel war. Nicht minder nachhaltig brannte sich der Monolog „Welche Droge passt zu mir?“ ein, in dem Rita Feldmeier die Klaviatur einer wohlsituierten, strauchelnden Frau eindringlich zu spielen wusste. Obwohl ein unbekanntes Stück konnte es sich bei den Zuschauern besser behaupten als die opulent in der Russenhalle inszenierte „Himmelsleiter“, die als großartige Ensemblearbeit durchaus ein breiteres Echo verdient hätte. Auch die Uraufführung von „Herbertshof“ aus der Feder von Ex-Intendant Ralf-Günter Krolkiewicz im Treffpunkt Freizeit erwies sich nicht als der große Besuchermagnet. Die Inszenierung kam zwar etwas schweren Schritts daher, regte aber zum Nachdenken über Verrat und „vererbte“ Denk- und Gefühlsmuster an. Der Sommer glänzte mit den atmosphärisch sehr dichten Inszenierungen „Onkel Wanja“ und „Was Ihr wollt“ im Palmenhaus der Orangerie. Dass große Namen nicht unbedingt ein Garant für großes Theater sind, zeigte der recht vordergründige „Besuch der alten Dame“ mit Christine Schorn. Und auch Dieter Mann als Macky Messer konnte der „Dreigroschenoper“ nur zu Mittelmaß verhelfen. Mit viel Schwung, Witz und doppelten Boden behauptete sich indes „Amadeus“ auf der Schlosstheaterbühne.

Mit eigenständigem Profil zog erneut das Kinder- und Jugendtheater altersdifferenziert zu Felde. Ob „Port“, „Kuh Rosemarie“ oder allen voran „Zwerg Nase“ – den Nachwuchs-„Anwälten“ darf man ein gutes Gespür für Themen und künstlerischen Feinsinn bescheinigen. Fazit: Viel Tops und kein Flop am untergehenden 2005er Theaterhimmel.Heidi Jäger

Das Jahr nach Maier

Man mag gar nicht mehr an das Desaster um das Literaturstipendium erinnern. Es ist zum Glück durch das Spaßbad-Debakel abgelöst worden. Nachdem im Strudel der Unzulänglichkeiten um die Sache Maier beinahe die komplette Kulturabteilung im Rathaus versank, nahm der Schriftsteller Maier im Frühjahr sein „Bürgerstipendium“ auf. Eigentlich eine großzügige persönliche Geste des Vorsitzenden der örtlichen Kaufleute. Der Aufenthalt des Autors verschaffte kritischen Beobachtern jedoch nur kurz Genugtuung. Zyniker würden sagen, die Verantwortlichen bei der Stadt hätten schon den richtigen Riecher gehabt, als sie sich dran machten, beinahe systematisch Maier zu verhindern. Maier würde vermutlich erwidern, diese Stadt wäre einfach zu spießig, wenn ihm vorgehalten würde, eher genommen, aber nicht einmal anständig Danke gesagt zu haben. Hier wurde bürgerschaftliches Engagement enttäuscht.

Der Oberbürgermeister hatte zuvor versichert, dass an der Idee des Literaturstipendiums festgehalten werde. Mit den eingesparten 6000 Euro wurde dann im Herbst jedoch das schulpädagogische Projekt „Storytausch“ gefördert. Viel Geld für die drei betreuenden Autoren, kleine Preise für die jungen Gewinner.

Die Hälfte dieser Summe reichte zum Beispiel, um die komplette Brandenburgische Literaturnacht des Hans Otto Theaters zu organisieren, die die an sich prächtigste und vielgestaltigste Literaturveranstaltung im Jahr ist. Doch in ihrem sechsten Jahr blieben zum ersten Mal die Zuschauer weg. Waren 15 Euro Eintritt vielleicht zu viel? Fehlten Publikumsmagneten, nachdem Leander Hausmann abgesagt hatte? Funktioniert das Billigheimer-Prinzip „Schauspieler lesen Weltliteratur“ doch nicht? Das Programm war mit Highlights wie Lars Gustafsson, Jenny Erpenbeck oder Moritz Rinke gar nicht so schlecht besetzt. Den Unterschied machte die Stimmung, die da in der Reithalle und im T-Werk zu spüren war. Literatur ist dem Theater anscheinend keine Herzensangelegenheit. Wo aber niemand brennt, kann keine Funke überspringen. Wenn das neue Theaterhaus öffnet, wird das HOT noch mehr Gravitationskraft auf die Potsdamer Kultur ausüben. Das Theater muss sich dann vielleicht nicht mehr alles zutrauen. Denn allzu grelles Scheinwerferlicht bekommt den meisten Autoren nicht. Sie wollen ihrem Publikum ins Auge blicken können.

Das glückte auf der wunderbaren Freiluftveranstaltung der studentischen, nicht-kommerziellen Potsdamer Literaturnacht im für diesen Anlass romantisch gestalteten Innenhof des Kutschstalls. Literaturvermittlung ist manchmal die höchste Kunst. Das einfache Wort muss nicht nur wohl klingen wie Musik. Den es erreicht, der muss mit ihm auch umgehen, es bedenken. Nirgendwo im Jahr konnte man das besser als in jener Sommernacht. Ein Blick auf das stilvolle Büfett und in die konzentrierten, bescheidenen Gesichter der freundlichen Organisatoren unterstrich den Eindruck von Qualität statt Quantität. Hier allerdings fehlten die bekannten Namen der Literaturwelt. Warum also nicht dieses Engagement verbinden mit dem Knowhow der großen Theaterliteraturnacht? Dann hätte die Stadt einen Publikumsmagneten.

AuchWaschhaus und Lindenpark hatten Literaturvermittlung auf dem Programm. Denn Dichtkunst hebt jedem Veranstalter das intellektuelle Niveau. Zu Harry Rowohlts grandioser Selbstbetrinkung passte jedoch die Kneipen- und Clubatmosphäre an der Schiffbauergasse besser als zur scheuen Terézia Mora oder dem Newcomer Uwe Tellkamp. Popautorin Sybille Berg las im Lindenpark von der Bühne in einen nur spärlichst besetzten geisterhaft großen Saal hinunter, in dem dann Stephan Krawczyk regelrecht unglücklich wurde. Literatur braucht nicht viel, eine hohe Bühne und Scheinwerfer gehören nicht dazu. Vielleicht ist das Filmmuseum der geeignetste Ort, wenn große Namen zum Lesen kommen.

Die Lesungen im Buchladen von Carsten Wist können, wie bei Ahron Appelfeld, zu einem intimen und andachtsvollen Gemeinschaftserlebnis werden. Doch selbst Büchner-Preisträgern wie Arnold Stadler ist ein Publikum in Potsdam nicht garantiert. Kann es ein Zuviel an Lesungen überhaupt geben? Oder ist die Zeit gekommen, aus bestehenden Kooperationen einen engeren Literaturverbund zu knüpfen? Dem Brandenburgischen Literaturbüro, das seine Finger immer im Spiel hat, geht es um Großes, könnte das koordinieren.

Eine Stadt, die wie Potsdam im vergangenen Jahr literarische Größen wie Mora, Tellkamp, Stadler, Gustafsson, Walter Kempowski, Volker Braun, Robert Schneider und Ingo Schulze zu Gast haben konnte, darf jedenfalls zunächst sehr zufrieden mit sich sein. In Sachen Literatur ist Potsdam schon Arkadien. Nur wissen müssten das noch mehr.

Matthias Hassenpflug

Zwischen Nikolaisaal und Kirche

Fünf Jahre ist das „Kind“ nun alt – und schon ganz schön erwachsen. Naseweis ist er dabei nicht geworden, der Nikolaisaal der Landeshauptstadt, nur federführend in Sachen musikalischer Musenpflege und -förderung. Sein reizvolles, aus Klassik, Rock, Pop, Crossover und anderen Zutaten abwechslungsbunt gemixtes Angebot lud die unterschiedlichsten Generationen zum Besuch ein. Froh stimmt der Eindruck, dass auch 2005 erneut mehr junge Leute die Schwelle des Kulturtempels überschritten haben. Auch mit ihrer Hilfe stieg die Auslastung gegenüber 2004 auf knapp 80 Prozent. In Zahlen bedeutet das einen Zugewinn von zweieinhalb Tausend Besuchern.

Zusammen mit den Musikfestspielen Potsdam Sanssouci, deren Offerten unter dem Thema „Frauen und Musik – Künstlerin, Muse, Mäzenin“ über 16 000 Musikfreunde in das anmutige Ambiente diverser Spielorte der Schlösser und Gärten lockten, hat das Konzert- und Veranstaltungshaus mehr als 100 000 Liebhaber der holden Frau Musica betreut. Angesichts mannigfaltiger finanzieller Unwägbarkeiten ein stolzer Erfolg. Er wiegt umso schwerer, als die Vorgaben des Zuwendungsvertrages, was die Eigeneinnahmen betrifft, mit 42 Prozent deutlich überboten wurden. An diesem Vorwärtskommen hat auch die Kammerakademie Potsdam als Hausorchester des Nikolaisaals erheblichen Anteil. Ihre Spezialisierung auf besetzungsgemäßes, thematisch kontrastreich zusammengestelltes Repertoire zahlte sich buchstäblich aus.

Das an den Sinfoniekonzerten beteiligte Brandenburgische Staatsorchester aus Frankfurt steuerte große Sinfonik bei. Im Verlauf der Saison geriet es jedoch immer mehr in unruhiges (Finanz-)Fahrwasser, das durch Frankfurts OB Martin Patzelt aufgerührt wurde. Dieser will aus dem sinfonischen Ozeanriesen eine kammermusikalische Barkasse machen. Hoffen wir, dass Potsdams Stadtväter um den ideellen Wert eines intakten und finanziell erschwinglichen Musiklebens wissen und es erhalten. Das konnte sich 2005 über die Stadtgrenzen hinaus hören und sehen lassen. Traditionell nahmen die Kirchenmusik und die Musik in der Kirche (wie die beliebten Sommermusiken in der Friedenskirche) einen breiten Raum ein.

Regen Zuspruchs erfreute sich erneut die „Vocalise“ mit ihren hochrangigen Aufführungen von liturgischer Bekenntnismusik: Bachs h-Moll-Messe, Brahms'' „Ein deutsches Requiem“, Verdis „Requiem“. An den begeistert aufgenommenen Konzerten beteiligten sich der Neue Kammerchor und die Potsdamer Kantorei genauso wie der Oratorienchor Potsdam, das Neue Kammerorchester Potsdam wie das Staatsorchester Frankfurt und die Brandenburger Symphoniker.

An der Nikolaikirche sorgte Björn O. Wiede mit seinen „Bachtagen“ erneut für eine zeitgemäße Annäherung an den Barockheroen. Die neue Altarorgel aus der Orgelbaumanufaktur Kreienbrink bescherte ihm und den Potsdamern ein weiteres klangliches Prachtstück. Festlich geweiht wurde auch die Hüfken-Orgel in der Stülerkirche zu Caputh, was Anlass für den rege besuchten „Caputher Orgelsommer“ war. Die Konzerte in der Klein-Glienicker Kapelle, der von Andreas Zacher organisierte Orgelzyklus in St. Peter und Paul, vor allem aber der Internationale Orgelsommer mit seinen zwölf Konzerten in der Friedens- und Erlöserkirche waren weitere Glanzlichter innerhalb der facettenreicher gewordenen Orgellandschaft.

Erneut den Hut zu ziehen hatte man vor dem Einfallsreichtum der Konzertagentur Barbara Heidenreich, die bei ihren unverwechselbaren „Potsdamer Hofkonzerten“ mit Bauchtänzen und anderen Arten von Balletten und Konzerten der Orientverliebtheit preußischer Herrscher huldigte. Doch auch die musikalische „Kleinkunst“ mit literarisch-musikalischen Soireen, mit von Tönen umhüllten Lesungen in Räumen und in Gärten sorgte für Vielfalt und Abwechslung.

Potsdams Künstler, Komponisten wie Interpreten, mehrten den künstlerischen Ertrag. Gisbert Näthers „Requiem“ anlässlich des 60-jährigen Gedenkens an Potsdams Zerstörung blieb dabei in Erinnerung. Dass die zeitgenössische Musik es schwer hat, trotz „intersonanzen“-Festival breitere Kreise zu erreichen, ist bedauerlich. Genauso wie das verkümmerte Musiktheaterangebot des HOT. Mozarts „Titus“ blieb als (vorzeitige) Reverenz an das Jubelkind einziger Lichtblick. Wenn da nicht die Musikfestspiele mit dem Singspiel „Die Fischerin“ von Herzogin Anna Amalie oder die „I Confidenti“-Wandertruppe mit der szenischen Aufführung eines Caladara-Oratoriums eingesprungen wären, sähe es entsprechend finster aus. Wann wird hier wem ein Licht aufgehen? Peter Buske

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false