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Kultur: Und noch einmal Zimmerstraße

Die Nr. 10 war 50 Jahre die Spielstätte des Hans Otto Theaters, dann wurde sie baupolizeilich gesperrt. Ab 1. Februar wird sie noch einmal für die Inszenierung „Eines langen Tages Reise in die Nacht“ geöffnet

PROLOG

Der Schein trügt. So baufällig, wie sich das Theater in der Zimmerstraße äußerlich gibt, ist es bei Weitem nicht. Im Inneren pulsiert noch immer das Leben. Und für kurze Zeit soll es sogar noch viel intensiver werden – bis es dann wohl endgültig heißt: Adieu. Für die Inszenierung „Eines langen Tages Reise in die Nacht“ wird das geliebt-gelittene Haus, in dem unverdrossen probiert und an Kulissen und Requisiten gewerkelt wird, auch als Spielstätte wiederbelebt. Die Karten gibt es im reaktivierten Kassenraum, auf rotem Teppich geht es in das frisch getünchte Foyer. Nur im Saal läuft alles verkehrt herum. Die Zuschauer sitzen mit dem Rücken zum Eisernen Vorhang und die Bühne erhebt sich an entgegen gesetzter Seite.

Die aufwändige Idee, die 1990 stillgelegte Spielstätte noch einmal dem Publikum zu präsentieren, resultiert aus dem „unterwegs“-Motto des Hans Otto Theaters. Und bis es nun endgültig ab September das neue Haus bezieht, erinnert es sich noch einmal seiner Wurzeln. Natürlich nicht losgelöst vom Stück: dem stark autobiografisch gefärbten Familiendrama des Iren Eugene O''Neill, in dem Angelica Domröse eine Hauptrolle spielt, und in dem die Figuren in einem schäbigen Domizil ihre Lebensbilanz ziehen. Und Bilanz wird auch in der Zimmerstraße gezogen. 50 Jahre Hans Otto Theater werden dort in einer Dokumentation mit Stücktiteln und Szenenfotos noch einmal aufgeblättert.

Und wie fing es an?

VOR 60 JAHREN

Eigentlich begann es mit der Zerstörung des Schauspielhauses – von den Potsdamern wegen seiner Lage „Kanaloper“ genannt – während des Bombenangriffs im April 1945. Inmitten der Trümmer und Düsternis dürstete es die Leute nach Erbaulichem. Und so gab es bereits zwei Monate später, ab 26. Juni, im ehemaligen Konzerthaus in der Hegelallee, dem späteren Haus der Offiziere, die ersten Vorstellungen. Große Literatur wie „Nathan der Weise“ erhellte die Herzen.

Etwa zur gleichen Zeit eröffnete ein Privatunternehmen die „Bunte Bühne" für Kabarett und Artistik in der Zimmerstraße 10. Hier frönte man der leichten Muse. Man spielte ohne festes Gestühl, ohne Vorhang und fast ohne Technik, aber in gewisser Weise in einem Haus mit Tradition. Schließlich schwangen hier die Potsdamer gern ihr Tanzbein, als das Haus noch „ Zum alten Fritz“ hieß.

Die „Bunte Bühne“ war nur ein kurzes Intermezzo: Sie wich dem Potsdamer Volkstheater. Parallel dazu wurde das Landestheater gegründet, mit Sitz im pompösen Schlosstheater des Alten Fritz. Auf den Besetzungszetteln finden sich neben Namen aus den Ensembles Zimmerstraße und Hegelallee auch der von Günter Pfitzmann, der in „Iphigenie“ den Orest gab.

Unter der Intendanz von Rochus Gliese wurde ein ständiges Orchester gegründet mit 21 Musikern, und bald gab es mit Berliner Gastsängern auch die erste Opernaufführung: „Figaros Hochzeit". Es war damals ein reger Intendantenwechsel: 1948/49 hieß der Chef bereits Alfred Dreifuß, und das Schlosstheater war bald die einzige Spielstätte, in der es noch Theater gab. Da ständige Aufführungen der historischen Bausubstanz geschadet hätten, beschloss der Brandenburger Landtag im April 1948, die Zimmerstraße zum Sitz des Landestheaters auszubauen. Mit Goethes „Faust“ gab es am 16. Oktober 1949 eine erinnerungsträchtige Premiere von fünf Stunden.

Ein Jahr später kursierten bereits erste Pläne zum Bau eines neuen Theaters an der Stelle des zerstörten Stadtschlosses mit 1700 Plätzen. Allein: Es fehlte an Zement. Auch über den Wiederaufbau der Kanaloper dachte man nach. Es blieb beim Denken. Wie so oft in Potsdams Theater-Odyssee.

Dreifuß und sein Team schlugen sich in der Zimmerstraße tapfer mit einer „kleinen, leider aber nicht feinen Bühne“ herum. Anbau statt Neubau hieß die fortlaufende Devise.

VOR 50 JAHREN

Der Spielbetrieb ging unverdrossen und mit erstaunlicher Qualität und noch erstaunlicherer Quantität weiter: 31 Premieren zählte man in der Spielzeit 1950/51: Schauspiel, Kindertheater, Oper, Operette, Konzert, Ballett – alle Sparten wurden bestens bedient.

1950 nahm Ilse Weinreich – die vor wenigen Wochen 99-jährig verstarb – das Intendantenzepter fest in die Hand. Eine ihrer wichtigsten Entscheidungen: Das Theater bekam den Namen von Hans Otto, dem von den Nazis ermordeten Schauspieler und Kommunisten. Zudem wurde ein ehemaliges Reisetheater angedockt und als Tournee-Ensemble mit Bussen aufs Land geschickt. Viele Bauern in Mecklenburg oder dem Oderbruch sahen so zum ersten Mal Theater. Die Schauspieler und Musiker kamen in ihren alten Schesen zumeist völlig durchgerüttelt an: Bis an die 300 Kilometer fuhren sie, um Theater in Dorfschenken, Turnhallen oder Kinos zu bringen.

VOR 40 JAHREN

Mit dem Intendanten Gerhard Meyer, der sich 1957 auf den Chefsessel schwang und doch ganz bodenständig blieb, ging ein deutlicher künstlerischer Ruck durch die Potsdamer Theaterwelt, die plötzlich auch für Berlin interessant wurde. Vor allem als Sprungbrett. Meyer hatte Gespür für Talente, die er zum Teil an der Babelsberger Filmhochschule entdeckte. In seiner fast zehnjährigen Intendanz lernten Schauspieler wie Jutta Wachowiak, Carmen-Maja Antoni, Helga Labudda, Günter Junghans, Helga Göring, Günter Schubert, Arno Wyzniewski, Winfried Glatzeder oder Thomas Langhoff bei ihm das „Laufen“, um dann standfest die großen Bühnen zu erklimmen.

Meyer kannte jeden der 350 Mitarbeiter mit Namen und machte fast täglich einen Rundgang durch alle Abteilungen. Mit Hochachtung wird noch heute über ihn gesprochen: von dem „Freund“, „Vater“, „Kollegen“. In seine Ägide fiel auch – neben die umfassende Rekonstruktion des Zuschauerraums, der Kassenhalle und der Theaterklause – die Eröffnung des Kleinen Theaters Am Alten Markt. Dort erhielt vor allem das heitere Genre sein zu Hause, von den Kollektiven der sozialistischen Arbeit zu Brigadeausflügen stets gern genutzt.

Meyers Nachfolger wurde Günter Klinger, der nur für zwei Spielzeiten blieb, und ebenfalls die großen Klassiker und zeitgenössischen Stücke aufs Programm setzte. Er wurde wiederum von Peter Kupke (1968/69), einem „Ziehkind“ Meyers abgelöst. Sein Verdienst war u.a. der Start der „Montagabend“-Reihe, der dem experimentellen, kleinen und politisch besonders wagemutigen Theater die Tür öffnete. Kupke selbst kehrte in der Spielzeit 1970/71 der DDR den Rücken und startete im Westen neu durch.

VOR 30 JAHREN

Mit Gero Hammer zog 1971/72 ein Intendant ein, der ausharrte und es schließlich zum „dienstältesten“ Theaterleiter brachte. Er machte vor allem als sehr guter „Außenpolitiker“ von sich reden – als Mitglied der Volkskammer hatte er das Ohr immer auch an der Machtzentrale. In konzilianter Art schlug er daraus für das Überleben des Theaters Vorteile. Er wusste die Interessen auszubalancieren und machte erstaunlich viel möglich. Die Montagabend-Reihe bekam einen weiteren Ruck, auch die Werkstatt-Tage neuer Dramatik sind auf ihn zurück zu führen.

„Innenpolitisch“ bevorzugte er die lange Leine. Seine engsten Mitarbeiter, wie die spielplanbestimmenden Regisseure Rolf Winkelgrund und Peter Brähmig, hatten großen künstlerischen Spielraum. Winkelgrunds Inszenierungen von Autoren wie Lorca, O“Casey, Matusche, Rozewicz oder Fugard setzten über die Grenzen Potsdams hinaus Maßstäbe. Immer wieder entdeckte er neue Stücke und brachte sie zur Ur- und Erstaufführung. Ähnliche Impulse setzte Peter Brähmig, dessen Mozart-Zyklus mit herausragenden Inszenierungen und sehr guten Sängern Publikumsfavoriten waren.

VOR 20 JAHREN

Die 80er Jahre standen im Zeichen des politischen Aufbegehrens. Die Leute rannten ins Theater, weil dort ausgesprochen wurde, was ihnen auf der Seele brannte. Sowjetische Stücke wie „Zeit der Wölfe“ oder „Morgen war Krieg“ gingen unter die Haut und wurden geradezu zum Wallfahrtsort. Ein tabuisiertes Thema wie der Stalinismus bekam plötzlich Stimme. Auch Mozarts „Lucio Silla“ nutzte man, um greise Machtinhaber zu karikieren. Besonders an den „Festen der Macht“ rüttelte Heiner Müllers „Wolokolomsker Chaussee“.

Mehr als einmal gab es Auseinandersetzungen, schlug der damalige SED-Bezirksleitungschef Günther Jahn die Tür. Doch abgesetzt wurde nur ein Stück, das sich fast harmlos gegenüber der „Wolokolomsker Chaussee“ ausnahm, aber eine direktere Sprache sprach: „Der Revisor oder Katze aus dem Sack“. Das Lachen über die Komödie blieb in der politisch brisanten Zeit jedem Stadt- und Landesfürsten in der Kehle stecken. Die „Absetzung“ passierte indes ganz diplomatisch. Man ließ die Inszenierung nach drei Vorstellungen einfach „auslaufen“. Die Konfrontation geschah hinter geschlossenen Türen und wenn die Wende nicht gekommen wäre, hätte wohl diese Inszenierung Gero Hammers Ende als Potsdamer Theaterchef bedeutet. Es kam so oder so.

Auch Hammers Werk, endlich einen Theaterneubau auf die Wege zu bringen, war kein glücklicher Abschluss beschieden. Eine Abrissbirne zerschlug kurz nach der Wende den Betonkern auf dem Alten Markt, der der Planung einer neuen Stadtmitte im Wege stand. Alle Hoffnungen der endlich Morgenluft schnuppernden Theatermitarbeiter waren dahin.

VOR 10 JAHREN

Doch nicht nur der Traum von einem Neubau und damit der inzwischen 40. Plan zerstieben. Auch die Zimmerstraße stand plötzlich vor der baupolizeilichen Schließung, weil die Fluchtwege nicht den neuen, bundesdeutschen Verordnung genügten. Das Orchester sagte sich vom Theater los und ging eigene Wege. Der inzwischen eingezogene Schweizer Intendant Guido Huonder hatte einen ziemlich großen Scherbenhaufen zusammenzukehren. Nicht nur die Zuschauer blieben aus, die nun die neue weite Welt erkundeten. Ihm blieben auch nur die kleine Probebühne in der Zimmerstraße, das Schlosstheater, die aus einer Leichenhalle umgebaute Studiobühne in der Heinrich-Mann-Allee und ab und an die Erlöserkirche als Spielorte. Alles musste eine Nummer kleiner gefahren werden. Auch das Ensemble war in Veränderung. Wegen Sparmaßnahmen sollte er zudem 80 Leute entlassen. Energisch wehrte er ab, machte den Spuk nicht mit. Um die Spielstättenmisere beizulegen, sah Huonder plötzlich mit der Blechbüchse einen Silberstreif am Horizont. Es wurde eher ein weiteres Debakel, was sich da Ende 1992 auftat. Denn die Zuschauer freundeten sich nie so recht mit diesem Blechteil an.

EPILOG

„Potsdam unterwegs“ ist die Antwort, die der jetzige Intendant Uwe Eric Laufenberg darauf gibt. Er geht an Orte, die die Potsdamer mögen, und der jetzige Zwischenstopp im Haus Zimmerstraße gehört sicher dazu. Das nächste Kapitel gehört einem neuen „Buch“, das ab September geschrieben wird. In der Schiffbauergasse. Die Zeit der Provisorien ist dann endgültig vorbei. Und der wirklich letzte Vorhang im Haus Zimmerstraße wird gefallen sein.

Entstanden unter Beratung von Michael Philipps, Dramaturg des HOT.

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