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Kultur: Tragik und Heiterkeit

Die Villenkolonie Neubabelsberg in einem schmalen Buch

Die Villenkolonie Neubabelsberg in einem schmalen Buch Immer mehr Besucher zieht es in die Villenkolonie in Neubabelsberg und am Griebnitzsee. Sie wollen in diesem Gebiet, das sich nahtlos mit der Weltstadt Berlin verbindet, ein Stück deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts kennenlernen. Hier haben sich Industrielle und Intellektuelle, Bankiers und Filmstars ihre Häuser gebaut, sehr oft in repräsentativer „Aufmachung“ und von bedeutenden Architekten entworfen. So von Ludwig Mies van der Rohe, Egon Eiermann, Hermann Muthesius, Alfred Grenander. Deutsche Architekturgeschichte der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhundert ist hier eindrucksvoll zu erleben. Zwar kann man mit einem kundigen Führer durch die Villenkolonie an jedem Sonntag (ab 11 Uhr Vorplatz Bahnhof Griebnitzsee) spazieren gehen, aber nun gibt es auch für diejenigen, die das Gehörte Schwarz auf Weiß mit nach Hause tragen wollen oder sich allein auf den Weg machen, einen gedruckten Führer. Der Verlag Aschenbeck & Holstein, der bei Bremen residiert, und sich mit Architektur und Kulturgeschichte beschäftigt, will Landhäuser und Villen in Potsdam intensiv „ausgraben“. Gestern hat er an historischem Ort, in der Villa des Warenhausbesitzers Paul Herpich, die Stalin 1945 während der Potsdamer Konferenz als Wohnsitz diente, in der zu DDR-Zeit das Rektorat der Filmhochschule sein Büro hatte, in dem heute der Bauindustrieverband zu Hause ist, die erste Veröffentlichung in dieser Reihe vorgestellt: das schmal gehaltene Buch über Bauten in Neubabelsberg und Griebnitzsee. Als Autorin fungierte Jana Galinowski, die für verschiedene Zeitungen und Magazine schreibt, als Fotograf Ingo Möllers. Nach einer Einführung, in der über die wechselvolle Historie der Kolonie und der vorhandenen unterschiedlichen Architekturstile berichtet wird, nimmt Jana Galinowski fast jede Villa unter die Lupe, natürlich auch die Villa des Verlegers Müller-Grote, die während der Potsdamer Konferenz dem US-Präsidenten als Residenz zur Verfügung stand, und heute der Friedrich-Naumann-Stiftung gehört. Der Spaziergang beinhaltet die Villa Lademann in der Karl-Marx-Straße 66, die den Ufa-Stars als Gästehaus diente. Einer der großen Filmstars war auch Brigitte Horney. Sie bezog das Haus des jüdischen Fabrikanten Hans Gugenheim (Johann-Strauß-Platz 11), der 1936 emigrieren musste. Fast jedes Gebäude kann eine Geschichte erzählen, voller Tragik und Heiterkeit. Die meisten Bewohner mussten 1945, als ganze Teile von Neubabelsberg für die Potsdamer Konferenz „geschlossen“ wurde, ihre Häuser innerhalb von einer Stunde verlassen. Beispielsweise Maria Sarre, die einen Tag zuvor ihren Mann beerdigte. „Sie können sich nicht vorstellen, dass ich nicht in der Verfassung war zu überlegen, was man in einer Stunde mitnehmen müsste! So habe ich eben nichts mitgenommen, da uns die Russen bedeuteten, dass wir nach Abzug der Konferenz ... wieder zurückkehren könnten – aber kein Babelsberger hat je wieder sein Haus betreten dürfen, und der gesamte Inhalt ist geplündert oder auf Schutthaufen zerstört. So ist der wissenschaftliche Nachlass meines Mannes vernichtet, ich besitze nicht ein Buch, nicht einen Brief mehr von seiner Hand.“, schrieb die Frau des Archäologen Friedrich Sarre. Während der DDR-Zeit durften die rechtmäßigen Besitzer ihre Häuser nicht bewohnen, die Gegend war Grenzgebiet. Mauer, Wachttürme und Soldaten mit Hunden beherrschten weitgehend Neubabelsberg. Nach 1989 bekamen ehemalige Besitzer ihre Villen wieder zurück, neue Eigentümer bevölkern auch das Viertel, die die Häuser sanierten. Mehrere warten aber noch auf Käufer ... Klaus Büstrin Jana Galinowski, Landhäuser und Villen in Potsdam – Neubabelsberg und Griebnitzsee, 9,80 Euro, Aschenbeck und Holstein.

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