zum Hauptinhalt

Kultur: Pazifist mit Bardenmütze

Gerhard Schöne gastierte mit seiner Geschichte vom blinden Herrn Stein im Nikolaisaal

Gerhard Schöne gastierte mit seiner Geschichte vom blinden Herrn Stein im Nikolaisaal Von Gerold Paul Anfangs glaubte man die Geschichte vom blinden Herrn Stein nicht so recht. Einer wie er kann doch besser hören als viele zu sehen vermögen. Warum sollte er denn in Schachteln und Dosen Geräusche und Geschichten sammeln, die vom Meer und der Ferne handeln und von den Kinderträumen des Alten? Auch für den „Lieder-Theater-Geschichten-Nachmittag“ im bis zum Rang hinauf besetzten Nikolaisaal hatte er seine Dickelchen und Dackelchen in einem alten Koffer verstaut, dem wichtigsten Requisit des neuen Programms von Gerhard Schöne. Darin verbarg sich „Die Sammlung des blinden Herrn Stein“. Viel Poesie und eine musikalische Ader des Pfarrerssohnes aus dem Dresdener Raum machten es dann möglich, dem Traum des dickbebrillten Mannes zu glauben. Dreie auf der Bühne, drei in einem Boot – dem Liedermacher standen mit Jörg Naßler und Karl-Heinz Saleh nicht nur zwei exzellente Helfer an Gitarre und Drums zur Seite, sondern auch humorbegabte Darsteller, wie er sie für seinen Spielplatz des Naiven wohl braucht. Einhundert Prozent Show und dabei alles Theater, so hat es Therese Thomaschke (Bühnenbild, Regie) für die ganze Familie eingerichtet, etwas lang freilich, erst nach 150 Minuten war alles vorbei. Dafür wurde dem Publikum vieles geboten, Lieder in Fülle, Geschichten zum Sinnieren, Spiel und Spaß mit Seifenblas'', Poesie und gute Laune, ein wunderbares Programm zum Hören, Sehen und Staunen, wie versprochen. Das Hauptstück war eine großen Kiste, daran zwei Dreiecksteile befestigt, mal Flügel für den Adler, der nach Willen eines Bauern nur ein Huhn sein sollte (und fast geworden wäre), mal die Segel eines Sturmbootes, den blinden Herr Stein zum Kapitän seiner Träume befördernd. Aus ihr kam nun alles, in ihr verschwand zum Beschluss auch das Spiel-Trio wieder. Mit spanischem Gitarrensound diente das Wunderding dem einstigen Totalverweigerer als Hochkulisse für „Deine Seele ist ein Vogel“, einmal gedreht zeigte es den blinkenden Spielzeugladen, wo sich Herr Stein, ohne Stock, das Boot seiner Träume kauft. Hier spielte die hübsche Geschichte von den „Drei kleinen Quallen“, einmal vorwärts, einmal retour erzählt, auch jene von Anna Seidenschuh und dem Wolfskind, als klassisches Schattentheater ausgeführt. Vor Kiste und Segeln zeigte man eine ganz reizende Pantomime zu dritt, wofür Schöne ein Mädchen aus dem Publikum auf die schwarzkulissige Bühne holte, die Kurbel einer kleinen Spieluhr zu drehen. Und vieles mancherlei mehr. In der Pause rannten die Kleinen treppauf, treppab, einer rief nach Pauline, der andere suchte „Freund Alex", vorn aber standen die Drei längst bereit, den Fortgang des Liedertheaters zu warten, ein Standbild. Gerhard Schöne ist offenbar jung geblieben, noch immer trägt er seine Stöffchen nachlässig, und wie der langgediente Pazifist in Wort und Lied Gewaltlosigkeit verkündet („Die Mutter, die ihr Kind nie schlagen wird“), so ziert sein Haupt doch eine Bardenmütze. Wo die ganze Welt, „Klabüster, Klabuster“, so duster scheint, spricht er von Glaube und Hoffnung, wie bei der Mutter, die so lange an Lenes Bett bleibt, bis das Kind aus dem Koma erwacht. Nicht viele haben den Mut, das Sentimentale so klar zu bekennen. Auch gymnastische Einlagen zum Mitmachen („Gefühleblues“), Masken, rote Clownsnasen und Puppen gehörten zum ästhetischen Standard dieses mit Lichteffekten wohlbedachten Programms. Augenfreude und Ohrenstaunen: Umhänge in Weiß, Blau und Rot belebten nicht nur die Szene, sie verwandelten sich zum Ende auch in Babys, wie man sie, dem Publikum Stille gebietend, von der Bühne fortträgt. Einmal kehrten sie zum tosenden Beifall zurück, dann zeigten sie sich nochmals, als Puppen ihres Konterfei in Rot, Weiß und Blau, allesamt bestens bekrönt und „behütet“. Mit Tüchern selbiger Farben und sieben guten Wünschen für den Heimweg winkte man sich, wirkungsvoll und schön, zum Finale hinaus. Eine erstaunliche Vielfalt von theatergerechten Stilen und Tönen öffnete also am verregneten Sonntag eine glaubhafte Welt aus Fantasie und Spiel, die Poesie selbst führte Regie. So kam auch der blinde Herr Stein in sein Recht. Alles im Lot auf“m Boot – alles in Budder auf“m Kudder.

Gerold Paul

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false