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Kultur: Neu und nicht immer auf Linie

Heidi Jäger

Mehrmals schon sollte das Hans Otto Theater ein neues Haus erhalten. Aber immer wieder wurde ein Neubau verschoben, kurz nach der Wende der Rohbau des Theaters sogar abgerissen, weil dieser „am falschen Platz“ stand. Am 22. September 2006 ist es soweit: Am Havelufer in der Schiffbauergasse wird sich der Vorhang im neuen Haus öffnen. In unserer Serie wollen wir an die vergangenen Jahrzehnte des Theaters erinnern, an Künstler auf der Bühne, dahinter und davor, an Schauspiel- und Musiktheaterereignisse, an Episoden aus dem Theaterleben Potsdams.

HEUTE: Werkstatt-Tage neuer Dramatik

Es waren lange Nächte. Mit viel Kaffee. Nichts wollte man versäumen. Wann sonst hatte man die Chance, die neuesten, mutigsten und experimentierfreudigsten Theaterstücke so geballt zu erleben. Und noch dazu, die Macher in aufwühlenden Diskussionen hautnah zu spüren. Die Potsdamer Werkstatt-Tage neuer Dramatik machten es möglich, die Ernte von zwei Jahren einzufahren, ohne sich auf die Reise begeben zu müssen. Reisen gab es stattdessen im Kopf und im Herzen, denn es gab vieles zu bewegen, gerade weil die Welt draußen still zu stehen schien. Mit begierigen Augen wurde über den Tellerrand geschaut, genüsslich gerade bei internationalen Stücken zugelangt. Natürlich wurde von oben argwöhnisch registriert, wer sich so am großen Theater-Tisch versammelte, wie weit sich die Organisatoren aus dem Fenster lehnten. „Wir haben immer Stücke eingeladen mit einem hohen künstlerischen Anspruch und die, im Rahmen der Möglichkeiten, auch versuchten, die offizielle Linie zu unterlaufen“, erinnert sich Dramaturg Michael Philipps, der in vielen Theatern unterwegs war, um das Herausragende aufzuspüren. Es waren nicht nur fröhliche, sondern auch aufregende Begegnungen, die sich seit der Spielzeit 1976/77 – immer zwischen den Zentralen Werkstatt-Tagen in Leipzig – auftaten. Dazu gehörte eine so spektakuläre Aufführung wie Heiner Müllers „Der Bau“ in der Regie von Frank Castorf, die ebenso wie „Zufälliger Tod eines Anarchisten“ aus dem damaligen Karl-Marx-Stadt eingeladen wurde. Auch Mrozeks „Tango“ aus Weimar fesselte das reichlich Einzug haltende Publikum. Wunderbar war es auch, die hoch amüsante „Offene Zweierbeziehung“ mit der Traumbesetzung Dagmar Manzel und Thomas Neumann vom Deutschen Theater zu erleben.

Gäste aus Berlin waren indes ein seltenes Ereignis. „Da gab es schon eine gewisse Hauptstadtarroganz“, so Michael Philipps. Oft waren es aber gerade die kleinen Bühnen, die Dramatik herausbrachten, die anderswo kaum eine Chance gehabt hätte. „Uns ging es nicht darum, bedeutende Regisseure, sondern vor allem neue Stücke nach Potsdam zu holen.“ Und das gastgebende HOT wartete auch selbst mit spannenden Stoffen auf, zeigte „Tinka“ von Braun, „Der Hungerkünstler geht“ von Rozewicz, „Die Nacht der Linden“ von Matusche, „Der Aufstieg auf den Fudshijama“ von Aitmatow. Angereichert wurde das Programm mit Lesungen aus unveröffentlichten Stücken, um schon mal die Fühler in Richtung Publikumsresonanz auszustrecken.

Auch nach der Wende behaupteten sich die Werkstatt-Tage, wurden nunmehr unter ein bestimmtes Motto gestellt und mit Inszenierungen aus den alten Bundesländern angereichert. Es wurden sogar Preise vergeben. Bis dem Theater selbst das Geld knapp wurde und die Werkstatt-Tage als unbezahlbarer „Luxus“ von der Spielfläche verschwanden.

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