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Kultur: Meisterhafte Schwerstarbeit

Schweikers „neuer“ Umgang mit Bachs Cello-Suiten

Schweikers „neuer“ Umgang mit Bachs Cello-Suiten Man könnte Hans-Christian Schweiker fast schon Etikettenschwindel vorwerfen, wären da nicht die Anführungsstriche. Johann Sebastian Bachs „neue“ Suiten für Violoncello solo waren für das Konzert am Samstag in der Bornstedter Kirche angekündigt. Sensationelles war zu ahnen. In verstaubten Regalen einer Bibliothek entdeckt, unbekannte Werke des großen Meisters. Wären da nicht besagte Anführungsstriche im Programmheft, die indirekt darauf verwiesen, dass Schweiker hier Altes – die sechse Suiten für Violoncello – als Neues verkaufte. Hans-Christian Schweiker, der bei Boris Pergamenschikow studierte, unter anderem mit dem Amadeus-Quartett und dem Trio Testore konzertiert und seit 1991 ein Professur für Violoncello in Aachen innehat, war schon im vergangenen Jahr mit den „neuen“ Bachsuiten 2, 3 und 4 zu hören. Sein Konzert begeisterte und so war er auch für dieses Jahr wieder eingeladen, am Samstag die restlichen Suiten zu spielen und seit Sonntag einen dreitägigen Meisterkurs zu leiten. Ein Schwerpunkt der Arbeit Schweikers liegt auf den Bach-Suiten für Violoncello. Seit Jahren setzt er sich mit den Originalnotentexten auseinander. Das „Neue“ an seiner Herangehensweise: er zerpflückte die Partituren, entfernte Noten, bis für ihn nur noch der Kern, die Struktur des Ganzen erkennbar war. Die Welt „hinter“ den Stücken erkennen, wie er es umschreibt, und so einen neuen Interpretationsansatz zu ermöglichen. Eine Gratwanderung, die Schweiker in der Bornstedter Kirche glänzend meisterte. Mit der Suite Nr. 5 c-Moll (BWV 1001) eröffnete Schweikers das Konzert. Und schon nach wenigen Tönen war klar, hier lieferte jemand „Schwerstarbeit“. Schweiker scheint jede Note der Partitur verinnerlicht zu haben. Er rang um jeden Ton, um das Bestmögliche. Das war schweißtreibend, ließ ihn schnaufen und manchmal den ganzen Körper erzittern. Das Prélude schwer und anfangs zurückhaltend, fast schon drohend. Die Allemande und Courante setzte Schweiker dann entspannend dagegen, um mit der Sarabande eine bedrohliche, fast schon in die Knie zwingende Mollastigkeit aus seinem wunderbar klingenden 1711er Instrument des Mailänder Meisters Carlo Giuseppe Testore über die vollen Zuschauerreihen zu legen. Zwei Gavotten und eine Gigue, die einen langsam wieder zu Atem kommen ließen. Mit der Suite Nr. 1 G-Dur wurde dann deutlich, was sich schon in den voran gegangenen Stücken andeutete. Schweikers „neuer“ Ansatz funktioniert. Das Prélude hier kraftvoll und akzentuiert, wie man es bisher so kaum gehört hat. Die folgenden Tanzsätze glasklar, der Rhythmus als Fundament, auf das Schweiker das Melodiespiel wunderbar aufbaute. Leicht konnte man ihm folgen, wie er spannungsreich die verschiedenen Stimmen modellierte, den Kontrapunkt aufblitzen ließ und einen mit scheinbarer Leichtigkeit die in Bach vollendete Verbindung von Harmonie und Melodie neu erleben ließ. Zum Schluss die Suite Nr. 6 D-Dur, über 30 Minuten „Schwerstarbeit“ für den Cellisten. Bach ging es um die Musikalität, auf die Anatomie von Musikerhänden nahm er wenig Rücksicht. Schweiker mit akrobatischen Figuren auf dem Griffbrett, sein hohes Niveau mit fast jedem Ton haltend. Virtuos im Wechsel von schnellen Läufen und getragenem Spiel. Lang anhaltender Applaus für einen Musiker, dem die Erschöpfung anzusehen war, den der hohe Selbstanspruch forderte. Dirk Becker

Dirk Becker

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