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Kultur: Meister und Melodram

Werke des fast vergessenen finnischen Regisseurs Teuvo Tulio im Filmmuseum

Werke des fast vergessenen finnischen Regisseurs Teuvo Tulio im Filmmuseum Obwohl die Filmkarriere des im Jahr 2000 verstorbenen finnischen Schauspielers und Regisseurs Teuvo Tulio bereits in den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts vorüber war, sieht Antti Alanen vom Finnischen Filmarchiv in Helsinki großen Nachholbedarf, was die Rezeption von Tulios Werken angeht. Wie der Filmhistoriker am Donnerstag im Filmmuseum erläuterte, hatte der 1912 als Theodor Antonius Tugai in einem Zug von Riga nach St. Petersburg geborene Sohn einer persisch-lettischen Ballerina und eines türkisch-polnischen Vaters, nachdem ihm der anfängliche Zuspruch von Publikum und Kritik verwehrt blieb, seine Werke ab den 50er Jahren weitgehend unter Verschluss gehalten. Erst nach seinem Tod habe daher das finnische Filmarchiv damit beginnen können, Tulios Filme zu restaurieren und neue Kopien zu ziehen. Anlässlich der Ausstellung „Finnischer Winter“ waren im Filmmuseum zwei Werke des „Meisters des Melodrams“ zu sehen. Dass Tulios Filme ebenso interessant sind wie das Leben ihres Schöpfers wird bereits im „Lied von der feuerroten Blume“ (1938) deutlich. Wie beim filmischen Urenkel Kaurismäki, der Tulio bereits in den 80er Jahren für sich entdeckte, wird extrem wenig gesprochen, Originalgeräusche gibt es fast keine. Die Tonspur wird vielmehr von Musik dominiert, was aber nicht wie die oft allzu verkitschenden „Scores“ des Hollywoodfilms eine emotionale Konditionierung des Zuschauers bewirkt, sondern eher an nachvertonte Stummfilme denken lässt. Tulio verlässt sich ganz auf die Aussagekraft seiner Bilder, immer wieder stellt er die innere Welt seiner Helden durch Naturphänome dar, bedient sich der symbolischen Sprache des Weimarer Stummfilms. Die Geschichte des Flößers Olavi, in Antti Alanens Interpretation eine filmische Version des klassischen Bildungsromans, in der die Entwicklung eines Jünglings zum Mann dargestellt werde, wird so zur bildgewaltigen Fahrt auf den Wasserstraßen Finnlands. Ebenfalls eine Entwicklungsgeschichte mit gewandelter Perspektive ist „So wie du mich wolltest“ (1944), wobei hier direkt der Frage weiblicher Selbstbestimmung auch in sexueller Hinsicht auf den Grund gegangen wird. Die Protagonistin Maija wird infolge ihrer Weigerung, sich den ebenso dominanten wie charakterlich schwachen Männergestalten unterzuordnen, in die Prostitution gezwungen. Wo man einen Hang zum Pathetischen vermuten könnte, beweist Tulio mit der Infragestellung tradierter Frauenrollen, wie im Konzept der klassischen Ehe, aus heutiger Sicht ein hohes Maß an Aktualität und in der Retrospektive, dass er seiner Zeit vorausgedacht hat. Diesem modernen Blick zum Trotz scheint Tulios späteres Scheitern bereits angelegt: Allzu leicht wirkt die ausschweifende Aneinanderreihung von Schicksalsschlägen konstruiert, die ihnen ausgesetzten Charaktere bis zur Klischeehaftigkeit typisiert. Doch hier gelang es Tulio noch, Filme zu entwickeln, die die Zuschauer in ihren Bann ziehen. Moritz Reininghaus „So wie du mich wolltest“ heute, 18 Uhr und das „Lied von der feuerroten Blume“ morgen um 20 Uhr.

Moritz Reininghaus

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