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Kultur: Letztlich sprach die düstere Moderne

Bläser der Kammerakademie Potsdam luden zum Kammermusikabend ins Foyer des Nikolaisaals

Bläser der Kammerakademie Potsdam luden zum Kammermusikabend ins Foyer des Nikolaisaals Harmoniemusik nannte man das Ensemble aus Holzbläsern und Hörnern im 18. Jahrhundert. Jeder Fürst und jeder Graf, der etwas auf sich hielt, leistete sich solch eine „Harmonie“ als musikalische Untermalung für Ausflüge, Jagden, Feste und andere Lustbarkeiten. Typisch für die Harmoniemusik jener lang vergangenen Zeit der Empfindsamkeit sind Joseph Haydns Divertimenti – unterhaltsame, abwechlsungsreiche Stücke, freundlich und knapp formatiert für je zwei Oboen, Hörner und Fagotte. Derartiges kann man sich gut im grünen Park unter blauem Himmel an einem Sonntagvormittag vorstellen, des Nachmittags im Schlosshof oder als festliche Tafelmusik – für einen Kammermusikabend wirkten diese Stückchen aber doch zu harmlos und nichtssagend. Da nutzte es auch nichts, wenn sich die Bläser der Kammerakademie Potsdam im Foyer des Nikolaisaals kräftig ins Zeug legten und bewiesen, wie ausgefeilt ihre Technik, wie feinsinnig ihr Zusammenspiel geworden ist. Ludwig van Beethovens Bläser-Oktett folgt der beliebten Standardbesetzung mit Oboen, Hörnern, Fagotten und Klarinetten, verwendet jedoch die viersätzige Sonatenform. Angeführt von der munter-lieblichen Oboe (Jan Böttcher) und der fröhlichen Klarinette (Matthias Simm) im Menuetto allegro ergeht sich das spritzige Werk in allerlei ausgelassenen Wendungen und ländlichen Läufen. Mit leichthin hüpfendem Staccato unterlegten die Hörner und Fagotte rhythmisch und melodisch präzise das heitere Spiel. Höhepunkt und Entdeckung des Abends war das Divertimento für Bläseroktett von Gideon Klein, das allerdings den Titel des Konzerts „Wiener Charme“ Lügen strafte. Die publikumswirksame Neigung, alles unter klingende Namen zu fassen, erweist sich doch nicht immer so günstig. Der tschechische Komponist Gideon Klein gilt als womöglich größtes musikalisches Talent des 20. Jahrhundert seines Landes. Nach einem Studium in Prag endete sein kurzes Leben mit nur 26 Jahren in Auschwitz. Er hatte zu den Ungebeugten gehört, die in der jahrelangen Haft in Theresienstadt ein Kulturleben aufbauten und auf diese Weise das Leben für die Inhaftierten erträglicher zu machen versuchten. Das dort entstandene Divertimento nimmt die alte viersätzige Sonatenform noch einmal auf und verleiht ihr atonal-abstrakte Gestalt. Schon der dissonante Akkord zu Beginn setzte ein Fanal: es geht nicht um beschauliche Bukolik, sondern hier spricht die Moderne, fragmentarisch, verfolgt, getrieben und düster. Gelegentlich abrupt, scharf konturiert wechselten heftige Staccati und lange „Pedal“-Töne, vibrierend-dunkle Klänge und helle Hornfanfaren, dunkle Rufsignale und keckernde Klarinettenschwälle. In der Interpretation der Kammerakademie Potsdam unter der Leitung von Sergio Azzolini erhielt dieses außergewöhnliche Stück kongeniale Klanggestalt. Babette Kaiserkern

Babette Kaiserkern

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