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Kultur: Lachen und weinen gleichzeitig

Inka Bach, einstige Stadtschreiberin von Rheinsberg, liest heute aus „Glücksmarie“ in Kleinmachnow

Inka Bach, einstige Stadtschreiberin von Rheinsberg, liest heute aus „Glücksmarie“ in Kleinmachnow Sie sieht sich selbst als einen glücklichen Menschen: Die Berliner Schriftstellerin Inka Bach erzählt in einem PNN-Gespräch über ihren Roman „Glücksmarie“ (Transit Buchverlag, 16,80 Euro), über den Berufsstand der Mediziner und das Kribbeln beim Lesen. Frau Bach, in „Glücksmarie“ erzählen Sie die Entwicklung von Marie, einem kleinen Mädchen, das nach dem Unfalltod seiner Eltern bei Onkel und Tante in der DDR aufwächst. Was Sie beschreiben ist nicht gerade eine heile Welt. Maries Stiefvater ist ein brutaler „Macho“, der seine Frau und seine Stieftochter schlägt. Wieso dann der Titel „Glücksmarie“? Wer die Hölle erlebt hat, kann den Himmel besonders schätzen. Ich bin überzeugt, auch jemand, der so viel Leid erlebt hat wie Marie, kann glücklich werden. Die literarische Kraft ihres Romans liegt in der lakonischen Sprache. Das ganze Leid, das Marie erfährt, drücken Sie in knappen Sätzen aus. Haben Sie eine Mutmach-Geschichte geschrieben? Das Buch soll eine Ermutigung sein. Ganz bewusst habe ich den Roman sprachlich so reduziert, dass der Leser die Grausamkeiten aushalten kann. Die Härte der Sprache macht das Leid erträglich. Die Härte der Sprache ist auch Widerstand. Marie hat ein Talent zum Glücklichsein. Dafür muss sie sich aber erst befreien. Wie kamen Sie auf die Idee zu dem Roman? Als ich 1998 Stadtschreiberin in Rheinsberg war, habe ich mich in meinem „Rheinsberger Tagebuch“ mit dem Thema Rechtsextremismus befasst. Damals hörte ich sehr oft, dass die DDR kuschelig gewesen sei. Es habe zwar ein autoritärer, totalitärer Staat geherrscht, doch die Gesellschaft sei sozial gewesen. Ich wollte zeigen, dass das so nicht stimmt. Das war ein Grund. Zum Zweiten brannte mir das Thema Gewalt in der Familie auf den Nägeln. Es ist ein Tabu-Thema, und ich fand es literarisch reizvoll zu zeigen, wie eine Familie, in der alles wunderschön aussieht, die Fassade aufrecht hält. Die Stiefeltern machen Karriere. Schönheit, Reichtum, Wohlanständigkeit werden nach außen gezeigt, während innen die Hölle herrscht – versteckt hinter Mauern des Schweigens. Herbert, Maries Stiefvater, ist ein angesehener Gynäkologe, ihre Stiefmutter Augenärztin. Hängt Gewalt in der Familie demnach nicht von der sozialen Schicht ab? Nein. Soziologen bestätigen das. Und man weiß auch, dass unter diktatorischen Verhältnissen Gewalt in der Familie weniger sanktioniert ist. Ärzte – werden häufig als ideale Gestalten gesehen – früher in Groschenromanen, heute in Arztserien. Diese Hochachtung des Berufsstandes hat aber relativ wenig mit der Wirklichkeit zu tun. Die Geschichte der Medizin im Nationalsozialismus und in der DDR ist noch viel zu wenig aufgearbeitet. Das ist immer noch ein Tabu. Dass Herbert Gynäkologe ist, hat eine besondere Brisanz für die Frauenverachtung, die in dem Buch beschrieben wird, die Frauenverachtung der Medizin, der Geburtshilfe und Frauenheilkunde in der DDR. Auch Wissenschaftler wie Alexander und Margarete Mitscherlich haben sich gefragt: Warum waren gerade Ärzte unter diktatorischen Verhältnissen so grausam, Ärzte, die doch angetreten sind zu heilen? Das hängt wohl mit einer Abspaltung innerhalb des Berufs, mit Karriere und dem Berufsbild der „Halbgötter in Weiß“ zusammen. Sie machen es den Lesern nicht leicht. Auch eine Frau – Maries Stiefmutter – macht sich schuldig. Auch sie schlägt Marie. Sie ist zugleich Opfer und Täter. Ja, die Stiefmutter wird ihrer Verantwortung nicht gerecht. Sie ist keine Unterstützung für das Kind, sie verrät es. Mit „Glücksmarie“ wollte ich auch gegen den weiblichen Masochismus anschreiben. Es ging mir nicht wie bei Ingeborg Bachmann um die Chiffrierung von Gewalt. Die Thematik, die Verletzungen sind ähnlich, aber die Haltung ist eine andere. In „Glücksmarie“ werden die Täter ganz klar benannt. Als Maries Stiefeltern in den Westen fliehen, möchte Marie am liebsten in der DDR bleiben. Ein Leben ohne den Stiefvater – das bedeutet für sie Freiheit. Sie muss mit nach Westberlin, aber sie befreit sich dennoch auch emotional. Es ist eine absurde Drehung, dass es ausgerechnet ihr Peiniger ist, der Marie in die Freiheit führt. Durch die Flucht aus der DDR kann Marie nämlich auch aus ihrer Familie fliehen. Sie will Freiheit konkret verstanden wissen und fordert Freiheit auch für sich persönlich ein. In West-Berlin sucht sie sich eine Ersatzfamilie, bei der sie lebt. Marie ist nun fast erwachsen und der Leser ahnt, dieses Mädchen wird seinen Weg gehen. Doch wie es mit der beschädigten Kindheit fertig wird, erfährt er nicht. „Ich weine und lache gleichzeitig und kann nicht mehr aufhören.“ Der letzte Satz des Buches deutet an, was noch auf Marie zukommt. Nicht nur das Herausfinden aus ihrer Todessehnsucht, den Suizidgedanken und der Depression, sondern auch Hysterie. Ein schwerer Weg liegt vor ihr. Sie beschreiben eine Welt, die man sich kaum vorstellen kann, wenn man solche familiären Verhältnisse nicht von innen kennt. Haben Sie mit misshandelten Frauen gesprochen? Ja, ich habe im Vorfeld mit betroffenen Frauen gesprochen und merke auch jetzt, seit das Buch erschienen ist, wie viele Frauen – und übrigens auch Männer – in ihrer Kindheit von dem gleichen Schicksal wie Marie betroffen waren. Oft höre ich von den Lesern den Satz: Das ist auch meine Geschichte. Sie selbst sind 1972 als 16-Jährige aus der DDR nach West-Berlin gekommen. An was von dem Land erinnern Sie sich noch heute? Das vorherrschende Gefühl ist Angst. Angst ist die Schmiere der Diktatur. Marie ist glücklich, wenn sie in ihren Büchern die Welt um sich vergessen kann. Haben auch Sie als Kind viel gelesen? Ja, russische Autoren haben mich fasziniert und philosophische Texte ... Schon mit Elf wollte ich Schriftstellerin werden. Das Lesen hat mich so glücklich gemacht, dass ich gedacht habe, wenn ich erwachsen bin, dann möchte ich auch den anderen Glück vermitteln. Das geht mir heute noch so. Wenn ich ein schönes Buch lese, dann kribbelt''s, dann möchte ich schreiben. Haben Sie literarische Vorbilder? Ja, die habe ich immer. Manche verabschiede ich im Laufe der Zeit, manche kommen hinzu. Bei „Glücksmarie“ waren es vor allem französische Autoren, die mich beflügelt haben. Christiane Rochefort zum Beispiel, die „Mutter“ der Absage an den Masochismus. Sie ist eine Autorin, die sich vehement auflehnt. Ein weiteres Beispiel ist Christine Angot, die Autorin des Erfolgsromans „Inzest“. Auch sie formuliert Widerstand. Das Gespräch führte Margit Lesemann. Heute um 18 Uhr liest Inka Bach in der Galerie Fukuyama in Kleinmachnow aus „Glücksmarie“. Voranmeldung unter: Tel: (033203) 24931.

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