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Kultur: Im Uhlu-Land

Tomte gab im Waschhaus ein Konzert

Es gibt zur Zeit kein Vorbeikommen an Tomte in der deutschen Popmusik. Und deswegen ist auch kein rechtes Hindurchkommen am Freitagabend im Waschhaus, wo Sänger und Unterhaltungschef Thees Uhlmann mit seiner Band das erste von nur fünf Konzerten spielten, auf denen das neue Album „Buchstaben über der Stadt“ vorgestellt wird. Tomte ist derzeit so angesagt, dass sich sogar der mediale Jugendkulturverwerter MTV angemeldet hatte. Geblieben sind die Kameras freilich nur die ersten drei Lieder. Genug, um die Erfolgswelle, auf der Tomte, Thees Uhlmann, befreundete Bands wie Kettcar und das gemeinsame Label Grand Hotel van Cleef gerade schwimmen, weiter schwappen zu lassen.

Mittendrin in seinem Konzert lässt Uhlmann das Licht über den 500 Fans plötzlich hochdimmen und zeigt auf die Anordnung von elf Diskokugeln, die sich da in rotem Licht an der Decke drehen. „Das da ist eine genaue Abbildung meines Gehirns“, behauptet der Frontmann, im „Uhlu-Land“, in seinem Reich, wäre man nicht nur deprimiert, es herrsche oft auch der Disco-Beat. Uhlmann ist in Redelaune, immer ein bisschen wirr, aber alle hören jetzt endlich zu. Der Ton ist rau, aber herzlich. „Lebenslangen freien Eintritt auf alle Tomte Konzerte“, verspricht er einem der Weitgereisten für einen besonders dreisten Zwischenruf, „das tätowiere ich dir hinterher noch ein.“ Die stilprägende Hamburger Schule, zu der Tomte jedenfalls bis zum Bandumzug nach Berlin zu zählen war, wurde ja häufiger auch „Diskurs-Pop“ genannt. Uhlmann gibt der Kategorie eine neue Bedeutung. Der Diskurs findet nicht mehr nur in den Liedtexten statt, sondern noch ausgeprägter zwischen Sänger und seinem Publikum. So erinnerte Uhlmann an das Jahr 1999, in dem Tomte ihr erstes Album „Du weißt, was ich meine“ im Waschhaus vorstellten: „Vor fünf Leuten.“

Und nun liegt der Band am gleichen Ort die Welt zu Füßen. Sie drängt sich und lacht über alles und weint an den Stellen, an denen die Songs pathetisch werden. Auch das kann Thees Uhlmann. Ein Lied über die ewige, gute Liebe schreiben, wie „Walter and Gail“, ein Paar, das miteinander alt und glücklich wird. Tomte hat die Liebe nicht neu erfunden, aber ihr wieder zu mehr Gewöhnlichkeit verholfen, zu mehr Glaubwürdigkeit. Für die Liebe, oft genug musikalisch grob misshandelt, ist das eine feine Sache. „Die Schönheit als Chance“ heißt es da in der dritten Zugabe des Abends, „dass wir auch unser Leben lieben, so schwer es auch ist.“

Das Irritierende, ja, das Neue an Tomte ist, wie sie es schaffen, dieser Durchschnittlichkeit, der gehuldigt wird, doch noch auf ziemlich sympathische Art auf einen strahlenden Podest zu verhelfen. Uhlmann ist, zumindest auf der Bühne, kein guter Sänger. Er nuschelt und formt aus den langgezogenen Vokalen Laute, als wolle er für das Deutsche eine Art Südstaatenslang erfinden. Die fünfköpfige Band spielt solide. Kleine feine Gitarrenriffs sind herauszuhören, aber im Großen und Ganzen wird auf die einzigartige, große Melodie, die sofort in den Ohren hängen bleibt, verzichtet. Es ist Musik für das Volk, für alle. Tomtes Texte glänzen nicht. Sie strahlen erst, wenn man sie durch häufiges Hören poliert hat. Geformt sind sie aus einfachen Worten. „Arbeiterprosa“ hieß das in einer Kritik einmal. Jeder soll verstehen. Damit die große Verbrüderung gelingt, damit, wie Uhlmann es ausdrückt, „eine coole 500-köpfige Gang“ entsteht zwischen dem Uhlu-Land und dem Rest der Popwelt hier im Waschhaus.

Dort herrschte zeitweise eine andächtige Stille. Ehrfurcht war sicher mit im Spiel. So ein Zeitzeugengefühl, dass es sich gut leben lässt, gerade jetzt im Uhlu-Land. „Angststille“, vermutete hingegen Uhlmann. Vielleicht liegt er richtig. Angst davor, dass sein Land bald große Stadien für seine Auftritte annektieren könnte. Matthias Hassenpflug

Matthias Hassenpflug

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