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Kultur: Hommage an den „King of Swing“

Andrej Hermlin & Swing Dance Orchestra mit Benny Goodman im Nikolaisaal

Andrej Hermlin & Swing Dance Orchestra mit Benny Goodman im Nikolaisaal Von Sonja Lenz Das Schwungrad dreht sich, verwandelt Ort und Zeit. Für einen Abend rückt Potsdam an den Hudson River heran. Der Nikolaisaal findet sich im quirligen Manhattan wieder. Das Publikum träumt sich zurück ins Jahr 1938. Andrej Hermlin und sein Swing Dance Orchestra spielen Benny Goodmans legendäres Carnegie-Hall-Konzert nach. Mit zehn Jahren hat Hermlin das Doppelalbum von seinen Eltern geschenkt bekommen. „Es wurde zu meiner Bibel, ich habe es zwei- bis dreimal pro Woche gehört“, erklärt er in seiner Moderation. Als Kind lag er auf der Couch und wünschte sich, einmal so eine Band zu haben. Ein Vierteljahrhundert später zählt der Pianist und Big-Band-Leiter nun zu den erfolgreichsten deutschen Swingmusikern. Die Swing-Revival-Welle, die Robbie Williams vor einigen Jahren ins Rollen gebracht hat, spülte auch Andrej Hermlin und sein Orchester nach oben. Jetzt also die Hommage an den „King of Swing“. So originalgetreu wie möglich. Die Reihenfolge der Titel und die Arrangements sind dieselben – inklusive der beiden Nummern, die auf den frühen Ausgaben des Albums noch nicht enthalten sind, weil die Matrizen erst später entdeckt wurden. Es gibt wie damals nur ein Mikrofon auf der Bühne, die Instrumentalisten spielen ohne Verstärkung. Der Orchesteraufbau ist nachgestellt. Sogar die schwarzen Anzüge mit den breiten Glanzrevers wurden nach historischen Fotos maßgeschneidert. „Don“t Be That Way“ bringt die Fußspitzen zum Mitwippen. Nach der Pianissimo-Passage erheben sich alle Bläser und füllen lautstark den Saal. Den Effekt kann keine Platte bieten. Auch nicht den Eindruck, den der Gitarrist mit seinem auf den Knien tänzelnden Instrument hinterlässt. Die Optik besticht – und die Akustik? Sie hangelt sich solide und respektabel an den alten Aufnahmen entlang. Funktioniert das Satzspiel wirklich kantenlos? Wirkt die Klarinette in „Stomping at the Savoy“ geschmeidig genug? Hat „I Got Rhythm“ genug Rhythmus? Fragen über Fragen, die einem kleinlich vorkommen, sobald man sie aufgeschrieben hat. Schließlich gibt es nicht wirklich einen Benny Goodman im Nikolaisaal. Auch keinen Teddy Wilson am Flügel, Lionel Hampton am Vibrafon, Harry James an der Trompete, Gene Krupa am Schlagzeug, Count Basie bei der „Jam Session“ und und und. Niemand kann erwarten, dass Berliner Swing-Musiker von heute mit den Altmeistern von einst konkurrieren können. Sie selbst wissen das am besten. Und doch: In ihren besten Momenten kommen sie der Atmosphäre von einst wunderbar nahe. Dann singt der Saxofon-Satz wie eine mehrstimmige Bläser-Orgel. Dann steigert sich das Trompetensolo vom mäuschenleisen Gewisper zum Löwengebrüll, und das Klavier-Solo perlt entspannt durch den „One o“Clock Jump“. Dan Levinson aus New York übernimmt den heiklen Part von Benny Goodman. Elegant imitiert er den Meister der Nuancen vom hingehauchten Pianissimo bis zum alles überlagernden Strahlen. Bettina Hermlin singt die beiden Martha-Tilton-Titel. Der alte Harry James überwacht den Abend im Geiste. Sein Mundstück, ausgeborgt für das spezielle Konzert, wird in zwei Trompetensoli zu musikalischem Leben erweckt. Der 1909 geborene Benny Goodman wusste 1938 schon, dass er ein ganz besonderes Konzert gab. Es war schließlich der erste Auftritt von Jazzmusikern in einem klassischen Konzertsaal. Entsprechend abwechslungsreich gestaltete er das Programm. Er spielte nicht nur mit seinem Orchester, sondern auch mit seinem Trio und Quartett. „Twenty Years of Jazz“ nannte er einen historischen Block, der vom Dixieland bis zu Duke Ellington reichte. Bei der „Jam-Session“ über „Honeysuckle Rose“ warnte er im Programmheft vor der unbestimmten Länge und Qualität des Vortrags. Die Vielfalt des Programms beflügelt auch den Abend im Nikolaisaal. Natürlich kommt die Spontaneität zu kurz, was der Idee des Jazz eigentlich widerspricht. Es handelt sich eben um eine in sich stimmige, museale Vorführung. Frenetisch kreischende Fans bleiben aus. Aber die beiden – auch auf dem Album verbürgten – Zugaben lassen sich die vorwiegend älteren Jazzfans im Nikolaisaal gern noch vorspielen. Am 8. April gestalten Andrej Hermlin und sein Swing Dance Orchestra einen weiteren Jazzgeschichtsabend im Nikolaisaal: „The Story of Jazz from Ragtime to Swing“.

Sonja Lenz

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