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Kultur: Gedachte Außenwelt

106. Potsdamer Filmgespräch präsentiert Dokfilm „Augenlied“

106. Potsdamer Filmgespräch präsentiert Dokfilm „Augenlied“ Sie haben außergewöhnliche Menschen für ihren Film ausgewählt. Der 80-jährige Günther Wieland verlor mit 19 Jahren im Krieg sein Augenlicht. Ein Fenster zur Welt bleibt ihm nun verschlossen, sagt er, dafür wurde seine Innenwelt mobilisiert: Er träumt und hört viel intensiver als früher, wenn er in der Natur ist und den Wind um sich pfeifen hört, vergisst er, dass er nicht sehen kann. Der Engländer John M. Hull ist Professor, glücklich verheiratet, lacht oft und hat ein Buch über seine Blindheit geschrieben. Nuria del Suz ist spanische Nachrichtensprecherin, für sie ist Schönheit gleich Weichheit und Zärtlichkeit, Äußeres spielt für die Bildschirmbekanntheit keine Rolle. Das Regisseuren-Duo Mischka Popp und Thomas Bergmann ist durch Europa gereist und hat über Blindenverbände, Organisationen und Film-Scouts von England über Polen bis Russland fünfzehn blinde Persönlichkeiten interviewt und zu ihrem Leben ohne Augenlicht, zu ihrem Alltag, zu ihren Träumen und Vorstellungen von der Welt befragt. Das Ergebnis trugen sie in 90 spannenden und einfühlsamen Dokumentar-Film-Minuten zusammen, die nicht nur beschreiben, wie Blinde die Welt „sehen“, sondern gleichzeitig in wunderschönen Bildern (gedreht von dem Potsdamer Kameramann Andreas Höfer) zeigen, was Blinde nicht sehen können, sich aber in den buntesten Farben ausmalen, wie sie in dem Film erzählen. Im Oktober 2003 hatte „Augenlied“ Kinostart, am Dienstag wurde die Dokumentation im 106. Filmgespräch im Filmmuseum präsentiert. In Anwesenheit der Regisseure, dem Kameramann und Radio1-Moderator Knut Elstermann. In ihrem letzten Film „Kopfleuchten“ ging es um Gehirnstörungen, jetzt um Blindheit. Das Regisseurpaar ist fasziniert von Menschen, die anders wahrnehmen, die in anderen Welten leben – entgegen der Vorstellung einer einzigen „richtigen“ Welt. „Blindheit ist etwas Erschreckendes und gleichzeitig Faszinierendes“, sagt Bergmann. Dabei geht es in dem Film nicht nur um blinde Wahrnehmung, die Dokumentation soll auch bewusst machen, was verdeckt in den Sehenden steckt, aber nur wenig ausgebildet ist. Riechen, Fühlen, Schmecken, Träumen, wodurch Blinde die Welt sehen. Deshalb das Nebeneinander von fotografischen Landschaftsbildern, die Blinde sich erdenken, und der Alltagswelt der Blinden, begründet der Regisseur. Ganz nah kommt Höfer den Protagonisten, zeigt ihre leeren Augenhöhlen, ihre regungslosen Pupillen, ungeschminkt, direkt. Und schafft damit eine einfühlsame Nähe und Selbstverständlichkeit. Am Anfang war es schwer, für Blindheit Bilder zu finden, erzählt der Kameramann, doch inspiriert durch die Gespräche kamen die Bilder plötzlich auf ihn zu. Wenn der Engländer John vom Meer, von den Bergen erzählte, war es nicht mehr schwer, entsprechende Bilder zu finden. Dabei herausgekommen sind Bilderwelten voller Farbe. Man wäre dem Empfinden von Blinden nicht näher gekommen, wenn man einem Schwarzweiß-Film gedreht hätte, ist sich Bergmann sicher. Hell und Dunkel werde von Blinden anders wahrgenommen, habe für sie eine andere Bedeutung. Im Film erzählt eine blinde Mutter, dass sie sich die Welt, die sie nicht sieht, einfach ausdenkt. Letztlich hat sie sich grüne Schuhe gekauft. Marion Hartig Filmmuseum, 28. und 29. Januar.

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