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Kultur: Erichs Fotoladen

Buchpräsentation in der Landeszentrale für politische Bildung: Fotografie und Staatssicherheit

Buchpräsentation in der Landeszentrale für politische Bildung: Fotografie und Staatssicherheit Mit der gleichen irrsinnigen Akribie, die das Ministerium für Staatssicherheit an den Tag legte, wenn es galt, Akten über vermeintliche Gegner des Staates anzulegen, um damit sozusagen ein gigantisches Protokoll einer staatlichen Verfolgungsneurose zu erstellen, bediente man sich auch der Fotografie. 1,3 Millionen Aufnahmen und 3800 Filmbänder, so wird geschätzt, dokumentieren den monströsen Versuch der Zersetzung einer Gesellschaft und bilden doch eigentlich ein Fotoalbum eines fortlaufenden Verfalls. Während die Aufarbeitung der schriftlich vorliegenden Stasi-Unterlagen seit langem in Gang ist, hat sich die Göttinger Historikerin Karin Hartewig mit dem im letzten Jahr erschienenen Buch „Das Auge der Partei. Fotografie und Staatsicherheit“ nun als eine der ersten auch dem fotografischen Vermächtnis der Bespitzelung zugewandt. In ihrem Vortrag, den sie in der Landeszentrale für politische Bildung im Rahmen der Reihe „Nachgelesen: das politische Buch“ hielt, teilt sie den riesigen Bilderberg in drei große Gruppe. Den größten Teil der Aufnahmen, den sie in den Archiven durchforstete, nahmen Observationsfotos von politischen Gegnern ein. Ob es sich um die manische Beobachtung der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in Ostberlin handelte oder Regimekritiker wie Robert Havemann oder Wolf Biermann betraf, die Stasi war mit ihren Exa-, Praktika- oder Robot-Kameras (diese ein Import aus Düsseldorf) stets zur Stelle. Havemanns Leben wurde auf diese Weise, so Hartewig, wohl zum bestdokumentierten der ganzen DDR. Sogar nach seinem Tod blieben die Objektive auf ihn gerichtet. Die ca. 300 Besucher seines Begräbnisses wurden in einer, so Hartewig, Überwachungsorgie abgelichtet und in wohl mühseliger Kleinarbeit identifiziert. Die zweite große Gruppe an Bildern geben Einblick in das Innenleben des Ministeriums und haben die Historiker während ihrer Recherche am meisten erstaunt. Protokollfotografie, die Erich Mielke mit Staatsgästen zeigte, fand sich genauso wie Fotos von Betriebsausflügen und internen Feiern der Hauptabteilung VIII, die für die fotografische Observierung verantwortlich war. Anhand dieser Innenansichten läßt sich rekonstruieren, wie die Mitarbeiter des MfS Gepflogenheiten, wie sie in anderen, nicht geheimen Behörden und Betrieben üblich waren, übernahmen und so langsam zu einem „Familienbetrieb“ zusammen wuchsen. Das führte zu einem Selbstverständnis, aus dem die dritte große Gruppe der gefundenen Aufnahmen hervorging. Die Stasi verwendete die Fotografie gezielt zur Image-, Öffentlichkeits- und Traditionsarbeit, bei der sie sich freilich den Mythos einer „tschekistischen Kampfgemeinschaft“ zurecht zimmerte und in öffentlichen Ausstellungen vorführte. Die „Paparazzi der Stasi“ steigerten Anfang der 80er Jahre ihren Fleiss, „es hatte etwas Selbstläuferisches“, so Hartewig. Da Repressionen und Verhaftungen von „Gegnern“ durch politischen Druck aus dem Ausland immer schwieriger wurden, wurde die Observierung durch Kameras beinahe allgegenwärtig. Eines der letzten Fotos, das von „Erichs Fotoladen“ entwickelt wurde, scheint den Niedergang dieses verselbständigten Bilder produzierenden Wahnsinns bereits in sich zu tragen. Es zeigt Demonstranten im Herbst 89 auf dem Alexanderplatz. Doch stehen sie nicht der Kamera zugewandt und somit identifizierbar. Nur die Rücken kann die Stasi noch festhalten, das Objekt hatte sich – unbewußt und instinktiv – bereits von seinem ewigen Betrachter abgewandt. Matthias Hassenpflug

Matthias Hassenpflug

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