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Kultur: Eine eigene Art von Jazz

Die Band Micatone ist heute im Nikolaisaal-Foyer zu erleben und bietet etwas für gewitzte Partyhechte

Die Band Micatone ist heute im Nikolaisaal-Foyer zu erleben und bietet etwas für gewitzte Partyhechte „Is you Is“ ist das, was man einen Standard nennt. Also ein hübsch melodiöses Stück aus der Zeit, als man zum Jazz noch tanzen durfte, damals, in den 40ern. Heute kennt man den hyperaktiven Gossenjungen aus New Orleans, der der Jazz mal war, dummerweise nur noch als brav bewegungslosen Musterschüler. Das ist unfair. Denn in seinem Herzen ist er immer noch wild. Er braucht nur einen liebevollen Tritt in den Allerwertesten. Und die Aufforderung: „Shake It, Baby“. Wenn sie so verlockend hingequengelt wird wie von Lisa Bassenge, die mit ihrer Band „Micatone“ heute um 20.30 Uhr im Nikolaisaal-Foyer zu Gast ist, kann der Jazz gar nicht mehr anders, als allen intellektuellen Ballast von sich abzuschütteln. Er verwandelt sich im Lauf der zwölf Lieder des aktuellen Programms und der gleichnamigen CD „Is You Is“ in einen treuen Begleiter für die schwarzen Löcher des Tages, in einen gewitzten Partyhecht, Stimmungsaufheller und Top-Ten-Aspiranten für die Herz- und Hirn-Charts aller geschmacksgesegneter Menschen. Kurz: er wird zum Zeitgenossen. Es liegt an der seltenen Gabe von Micatone, das Beste aus zwei verschiedenen Welten schlüssig zu kombinieren. Es geht um Pop mit Verstand, um Songs, bei denen man sich nicht schämt, wenn man sie unversehens mitsingt, um echte Instrumente, die sich willig, aber selbstbewusst von Rechenmaschinen unter die Arme, Saiten, Trommelfelle oder Stimmbänder greifen lassen. Es geht letztendlich um eine Band, im klassischen und abgenudelten Sinn des Wortes. Dass sie aus Berlin kommt, sich elegant eigenständig im „Jazzanova“-Umfeld bewegt und weises DJtum mit den Talenten von Shooting-Stars der deutschen Jazzszene vereinigt, tut eigentlich nichts zur Sache. Micatone sollte allen gehören, nicht nur irgendwelchen Geheimniskrämern und Sektierern. Das Sextett ist auf dem besten Wege dahin. In Portugal bittet man nach Konzerten bereits um Autogramme. Aus Kanada, Neuseeland und Australien kommen Fan-Bekenner-Emails. Im Westen Londons formiert sich eine immer größer werdende Anhängerschaft. Was auch damit zu tun hat, dass jemand wie Paul „Seiji“ Dolby - ein derzeit in höchstem Ansehen stehender Produzent - mal dabei erwischt wurde, wie er Hand an einen Micatone-Track aus dem 2001 veröffentlichten Erstling „Nine Songs“ anlegte. Wenn Remixe der größte Liebesbeweis im momentanen Musikgeschehen sind, dann wird Micatone mehr als heftig verehrt von klugen Knöpfchendrehern in Japan, Österreich und England. Aber auch Instrumentalisten von Graden lassen sich verführen. Gerard Presencer etwa, der Radiohead-Kollaborateur und Trompeter hinter dem US Top 3 Hit „Cantaloop“. Auf „Is You Is“ steuert er bei dem Stück „To the Sound“ ziemlich traumhafte Solo-Arabesken hinzu. Es gilt die alte Regel: Der Computer ist immer nur so schlau wie die, die vor ihm sitzen. Bei Micatone sind es uneitle Musiker. Das hört man. Und das führt dazu, dass Live-Auftritte auch ohne Festplattenunterstützung glänzend funktionieren. Weil sich der Inhalt die Form sucht. Umso verblüffender sind die Ergebnisse aus dem Micatone-Forschungslabor, die sich auf „Is You Is“ finden lassen. Mensch und Maschine gehen da zärtlich miteinander um. Es liegt am digitalen Feingefühl von Micatone. Wie man die Musik beschreiben will, sei jedem selbst überlassen. House mit Herz, die konsequente Fortführung von Jamiroquai, Portishead ohne Depressionen wären Ansätze. Vielleicht aber auch ganz einfach: eine eigene Art von Jazz. n. p.

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