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Kultur: Ein wunderbares Theaterfest

Fontanes „Frau Jenny Treibel“ in einer HOT-Adaption im Palais Lichtenau

Fontanes „Frau Jenny Treibel“ in einer HOT-Adaption im Palais Lichtenau Von Klaus Büstrin Die Geschichte von Frau Jenny Treibel, die in einer Berliner wohlhabenden Bourgeoisie spielt, ist schnell erzählt: Jenny, die reich gewordene Jugendfreundin des Professors Schmidt will auf keinen Fall, dass seine geistreiche Tochter Corinna, die nicht so materiell bemittelt ist, aber doch gern reich wäre, ihren Sohn heiratet. Als nichts aus der Heirat wird, ist sie wieder ein Herz und eine Seele mit dem alten Jugendfreund und seiner Tochter, die sich mit einem bescheidet, der dann eben auch nicht reich, sondern Professor werden will wie der Papa. Im Jahre 1892 kam der Roman Theodor Fontanes heraus. Film und Theater haben sich immer mal wieder an dieser Vorlage heran gewagt: Die DEFA drehte 1951 eine recht freie Adaption, 1964 kam an Berlins Maxim-Gorki-Theater Claus Hammels Bühnen-Version erstmals auf die Bühne. Die Komödie wurde vielfach nachgespielt, in den achtziger Jahren auch am Potsdamer Hans Otto Theater. Eva Schäfer verkörperte damals die Kommerzienrätin Treibel. Jetzt, in der neuen Fassung des Theaters (Anne-Sylvie König und Uwe Eric Laufenberg), spielt Katharina Thalbach die Titelrolle. Sicherlich, die vielen Kartenwünsche, die man nicht alle erfüllen kann, gehen auch auf das Gastengagement der bekannten Schauspielerin zurück, doch auch der Ort, das Palais Lichtenau, in dem das Stück gezeigt wird, verführt zu einer Besichtigung des Geschehens im Treibel“schen Hause. Gut achtzig Zuschauer sind zum Diner jeweils geladen, bei dem Uwe Eric Laufenberg das Regiezepter führte. Im Gartensalon gibt es zunächst ein ziemliches Gedränge. Aber die Dienerschaft der Treibels behält bei Ankunft des Publikums die Übersicht. Freundlich wird der Mantel abgenommen, die Garderobenmarke überreicht, zwischen Wein, Sekt oder Wasser kann man wählen (natürlich nur bei Entrichtung eines Obolus) und in die entsprechenden Räume geführt. Im Gartensaal empfängt der alte Kommerzienrat Treibel (Roland Kuchenbuch) inmitten der Zuschauerschar die Gäste. Da kommen Sohn Otto (Philipp Mauritz), der unter den Pantoffeln seiner bigotten Frau Helene (Anne Lebinsky) steht, deren hübsche, aber nicht sehr gebildete Schwester Hildegard (Nadine Schori), der geheimnisvolle Engländer Mr. Nelson (Christian Klischat), der vierschrötige Leutnant Vogelsang (Joachim Schönitz), der intellektuelle Professor Schmidt und seine unkonventionelle Tochter Corinna (Andreas Herrmann und Adina Vetter). Weiterhin kommen der sich ohne Allüren gebende Cousin Corinnas, der Archäologe Marcel Wedderkopp (Moritz Führmann) sowie die beiden Damen aus der „besseren Gesellschaft“ Edwine von Bomst (Gisela Leipert) und Majorin von Ziegenhals (Rahel Ohm). Durch das Musikzimmer, in dem Jenny über die Unvollkommenheit ihres Hauses sinniert, geht es in den Festsaal. Am reich gedeckten Tisch haben die Diner-Gäste Platz genommen. Doch der Zuschauer staunt zunächst über den wundervollen Saal mit seinen relativ gut erhaltenen frühklassizistischen Wandmalereien. Die Diener, gespielt von Jennipher Antoni, Hans-Jochen Röhrig, Peter Pauli, Kay Dietrich, Helmut G. Fritzsch und Tobias Rott, sind nicht nur bei der Bedienung zugange, sondern wissen auch die Herrschaften trefflich zu charakterisieren. An der Tafel sitzt auch der schüchterne Treibel-Sohn Leopold (Johannes Suhm), der sich gern aus der Gefangenschaft einer übertriebenen Mutterliebe befreien möchte. Hildegard hat ein Auge auf ihn und vor allem auf sein Geld geworfen, auch Corinna. An der Tafel gibt es die verschiedensten Gespräche. Die Politik spielt dabei eine nicht unwesentliche Rolle. In der Mitte thront die Kommerzienrätin. Sie hält die Fäden fest in der Hand, auch dann, wenn einige Meinungsverschiedenheiten sich nicht immer zu einer friedlichen Koexistenz hin bewegen. Nach dem Dessert begibt man sich in den Musiksalon, da Frau Treibel die Musik, besonders Wagners „Tannhäuser“, huldigt“. Sie gibt neben den sangesfreudigen Damen Bomst und Ziegenhals, begleitet vom Pianisten (Christian Deichstetter), Lieder zum Besten. Die Zuschauer begeben sich im zweiten Akt an die verschiedenen Spielorte. Man spielt simultan: im Festsaal, im Musiksalon und im Gartensaal. Im einen Raum macht sich Corinna an Leopold heran, in dem anderen erinnern sich Jenny und Prof. Schmidt ihrer einstigen Liebe und im Festsaal steigt der alte Treibel dem Dienstmädchen „auf die Pelle. Dann ist man wieder im Festsaal versammelt, um zu erfahren, dass Leopold sich mit Corinna verlobt hat, um daraufhin mit zu erleben, wie Jenny fast in Ohnmacht fällt, wie sich Leopold der artige Sohn seiner Mutter, nun doch mit Hildegard liiert. Und schließlich erinnert sich Corinna wieder ihres alten Freundes Marcell Wedderkopp. Man kann also unbeschwert den Abend mit Tanz beenden. Im gesamten Hochparterre gibt es Bewegung. Aus den Nachbarräumen hört man Stimmengewirr, Klaviermusik und singende Damen, auch der Kakadu im Gartensalon lässt sich hin und wieder mal vernehmen, an Türen wird gelauscht, man trifft sich hier und da, auch unfreiwillig, klatscht über diesen und jenen und heckt Lebenspläne für den anderen aus. Es ist wohl selten der Fall, dass die Zuschauer so dicht am Geschehen dran sind, dass die Schauspieler inmitten des Publikums agieren wie im Palais Lichtenau. Dass die Auftritte von einem Spielort zum anderen, vor allem in zweiten Akt, so minutiös klappen, ist eine Meisterleistung für sich. Sicherlich macht die wunderbare Atmosphäre des Palais - Bühnenbildnerin Regine Freise hat es mit ansprechenden Mobiliar und Accessoires verschönt - es auch ein wenig leicht, ein Diner zu arrangieren, aber Uwe Eric Laufenberg hat es verstanden, ein wunderbares Theaterfest voller Charme und Leichtigkeit zu inszenieren. Die Geschichte erzählt er stets ironisch-intelligent, doch immer mit einem distanzierten Pfiff. Jenny Treibel wird nicht als eine kaltherzige Dame denunziert, die nur Geld und das Höhere im Sinn hat, sie weiß, wie man den anderen um den Finger wickeln kann und wie man selbst ganz weich wird, beispielsweise, wenn sie mit Prof Schmidt in Liebeserinnerungen schwelgt. Katharina Thalbach ist eine famose Jenny. Sie ist herrlich in Sprache und Ausdruck. Souverän gibt sie die „Frau von Welt“. Ihr zur Seite Roland Kuchenbuch als keinesfalls trottliger Ehemann, sondern als einen, der sich schon mal durchzusetzen versucht, bestens auch Johannes Suhm als verkrampfter Sohn Leopold, Adina Vetter als charmant-natürliche Corinna. Das gesamte Ensemble, geschmackvoll kostümiert von Jessica Karge, ist mit Feuereifer und mit Spaß bei der Sache. Gratulation. Diese Theateradaption, so scheint es, hat sich ganz und gar auf die Gegebenheiten im Palais konzentriert. Man darf aber auch auf die Vorstellungsserie in der Reithalle A gespannt sein, in der es ein paar andere aufführungstechnische Bedingungen gibt Fontanes Liebenswürdigkeit, der leichte und humorvolle Konversationston, die kritischen Bemerkungen gegenüber den Zeitläuften bleiben bei Anne-Sylvie König und Uwe Eric Laufenberg erhalten. Doch da in ihrer Fassung alles an einem Abend im Hause Treibel abläuft, musste die köstlich-geradlinige Figur der Schmolke, Wirtschafterin im Hause Schmidt, gekappt werden. Schade auch, dass Otto und Helene Treibel und vor allem Hildegard gegenüber der Vorlage Fontanes ein wenig stiefmütterlich bedacht werden. „Frau Jenny Treibel“, so kann man heute schon sagen ist ein Publikumsrenner, dem man noch viele Reprisen wünscht. Der Beifall am Premierenabend war jedenfalls groß.

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