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Kultur: Ein Mux geht durchs Land

Im preisgekrönten Thalia-Kino: Filmgespräch mit den Machern von „Muxmäuschenstill“

Im preisgekrönten Thalia-Kino: Filmgespräch mit den Machern von „Muxmäuschenstill“ Von Matthias Hassenpflug Der Mux“sche Imperativ funktioniert auch im Kino. Die Situation ist ein Klassiker. Kaum, dass man bequem im Sitz abgetaucht ist, gibt es von hinten garantiert Knusperalarm und eine Quasselattacke von den Nachbarn. Da, wo der Durchschnittscineast von der hilflosen Wut nur tiefer in die Polster gedrückt würde, wäre Mux sofort zur Stelle gewesen. Mux hätte vermutlich den Störer zunächst mit dem scheußlich klebrigen Käsedipp geteert und dann mit Tacochips gefedert. Mux, selbstgerechter Held des gefeierten low-budget Films „Muxmäuschenstill“, der am Freitag im Mittelpunkt des Filmgesprächs mit seinen Machern im Thalia Kino stand, stellt mit seiner Videokamera Verkehrssünder, Sprayer, Kaufhausdiebe oder Päderasten, weil er noch „Verantwortung“ spürt. Die Bestrafung in Form einer Demütigung erfolgt stehenden Fußes. Regisseur Marcus Mittermeier und der Mux-Darsteller Jan Henrik Stahlberg, der auch das Drehbuch verfasst hat, haben sensationellen Erfolg. Ihre nur 40 000 Euro kostende, in der flirrenden, den fiktiv-dokumentarischen Charakter unterstreichenden Digital-Video Technik abgedrehte Produktion gewann Publikumspreise und den Deutschen Filmpreis für den besten Schnitt. Auch vom Publikum des nahezu ausverkauften großen Thalia-Kinosaals in Babelsberg ernten sie überwiegend Zuspruch. Doch das rege Wechselspiel zwischen den beiden Gästen auf der Bühne, die ihr Konzept beredt erläutern, und den Fragestellern aus dem Auditorium offenbart neben vielem Großartigen auch Mängel an Mux. Da ist zunächst die verschwommene und wackelige Bildsprache. „Mux hat seine Schärfe, die liegt aber nicht im Bild“, gibt der Regisseur Mittermeier zu, an diesem Abend wäre die Wiedergabequalität aber besonders „grenzwertig“. Thomas Bastian vom Thalia verspricht Besserung. Warum aber muss auch diesem Film, wie leider so vielem, was aus Deutschland kommt, ein im Verhältnis zu seiner spartanischen Formsprache beinahe schwindelerregend kopflastig wirkender Anspruch mit gegeben werden? Bei der Publikumsfrage, inwiefern „Muxmäuschenstill“ denn Deutschland reflektiere, haben Mittermeier und Stahlberg Gelegenheit, ihren ideologischen Überbau zu referieren. Von Verantwortungslosigkeit, von der schon viel zitierten (und leider noch nie erklärten) „Ver-Dieterbohlenisierung“ ist die Rede, von Globalisierung und davon, dass es so nicht weiter gehen könne. „Wir kümmern uns nicht mehr um die Fragen des Zusammenlebens“, erklären die Macher und orakeln, dass es unter Frau Merkel nicht besser werden wird. Kann nun der Film Mux der Ruck sein, der vor Jahren schon präsidential beschworen durch unser Land gehen soll? „Muxmäuschenstill“ ist ein sehenswertes Filmchen, dessen psychopathischer, zur Selbstironie unfähiger, später gänzlich unsympathischer Held, in Selbstjustiz hauptsächlich Ordnungswidrigkeiten ahndet, das geeignete Medium zur umfassenden Medien- ja Gesellschaftskritik? Auch wenn dieses Filmgespräch sich einreiht in den erfolgreichen und gerade durch den Kinoprogrammpreis wieder bestätigten Kurs des Thalia, neben Filmgenuss auch anregende Hintergründe zu liefern, ist danach klar: auf diesen Mux, äh Ruck, müssen wir wohl noch warten.

Matthias Hassenpflug

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