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Kultur: Dörfer müssen nicht sterben

Experten sehen keine Versteppung und Vergreisung

Experten sehen keine Versteppung und Vergreisung Brandenburgs Dörfer müssen nicht sterben. In Dr. Stephan Beetz, Humboldt-Universität, und Dr. Rainer Land, Agrarinstitut Röbel, haben sie jedenfalls engagierte Fürsprecher. Das verdeutlichte ein „Dörfer in Bewegung“ überschriebener Diskussionsabend in der Landeszentrale für politische Bildung. Für sein gleichnamiges Buch ist Beetz rund um Jüterbog durch den Niederen Fläming gezogen, hat die wirtschaftlichen und Lebensverhältnisse analysiert und hunderte Bewohner befragt. Er ist sich mit seinem Kollegen einig, dass der Umbruchprozess in den ländlichen Gebieten außerhalb des Berliner „Speckgürtels“ durch die viel verwendeten polemischen Stichworte „Versteppung, Verelendung, Vergreisung“ nicht erfasst wird, sondern vielschichtig und kompliziert verläuft. Sicher, seit 1990 sind etwa 20 Prozent der Bewohner weggezogen, aber 80 Prozent in ihrem Dorf geblieben, und für die gelte es neue Konzepte zu entwickeln. In der Mark gibt es kaum einen halbwegs fruchtbaren Streifen mehr, der nicht landwirtschaftlich genutzt wird, erfuhr das erstaunte Publikum. Moderne Betriebe, die die großflächigen Strukturen der DDR-Landwirtschaft nutzen, produzieren für den nationalen und europäischen Markt. Das schaffen sie aber mit zwei Arbeitskräften je 100 Hektar, in der LPG waren es 25. Die sozialen und kulturellen Aufgaben, die die LPG früher mit wahrnahm, haben sie abgestoßen. Und so gibt es in zahlreichen Dörfern keinen Laden, keine Gaststätte, keine Poststelle, keinen Kindergarten mehr, und die Kulturhäuser verfallen. Für die Dörfer und die Dörfler ist die Produktionssteigerung also keine Erfolgsgeschichte. Das Gegenkonzept von Beetz und Land sieht vor, dass die modernen Landwirtschaftsbetriebe nicht nur überregional produzieren, sondern sich auch lokal wirtschaftlich, sozial und kulturell engagieren, damit Arbeitsplätze schaffen und das Dorf beleben. Beispiele dafür gibt es schon, denken wir an das Obstgut Marquardt mit seinen Märkten, dem Hofladen und der Obstscheune als Veranstaltungsort. Die beiden Agrarwissenschaftler kritisierten die Förderpolitik von EU und Bund, die sich einseitig auf die Landwirtschaft und dabei möglichst auf Millionenprojekte richtet. Den Dreiklang Landwirtschaft-Dorf-Landschaft gebe es nicht mehr. Notwendig sei deshalb die Förderung „kleinteiliger“ Vorhaben, beispielsweise im ländlichen Tourismus oder im Siedlungsbau. Hoffnungsvoll sehen Beetz und Land die Rückkehr (wohlhabender) Städter aufs Land, wo sie frühere Herrensitze und Gutshäuser übernehmen. Aus dem Publikum wurde das Beispiel eines Berliner Arztes genannt, der auf Gutsgelände einen Pferdehof einrichtete und sich auch für das Dorfleben einsetzt, so durch die Restaurierung der Kirche. Anekdotenhaft mutet die Entwicklung eines uckermärkischen Örtchens an, das die Kreisverwaltung unter dem Slogan „Mut zur Wildnis“ von der Landkarte streichen wollte. Schon hatte sie die letzten dort wohnenden alten Ehepaare zum Ortswechsel ins betreute Wohnen überredet, da siedelte sich eine Künstlergruppe „mit mindestens 35 Kindern“ an, wie der Verwaltungsbeauftragte frustriert feststellte. Von einer Aufgabe des Dorfes ist seitdem keine Rede mehr – sogar die Buslinie in die Kreisstadt musste wiedereröffnet werden. Die ländlichen Gebiete werden entgegen dem düsteren Bild, das die Medien zeichnen, also keineswegs durch eine „immobile, stagnierende Gesellschaft“ geprägt, brachte Stephan Beetz die Diskussion auf den Punkt. „Die Dörfer sind in Bewegung, und sie haben eine Zukunft.“ Erhart Hohenstein

Erhart Hohenstein

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